Yandex: „In Russland ist Google der Kleine“

Yandex: „In Russland ist Google der Kleine“

In Russland bedeutet Yandex gleich Internet. Die größte russische Suchmaschine nutzen 89 Prozent aller (100 Millionen) russischen Internetuser. Yandex hat täglich 41,3 Millionen Seitenbesucher an allen Endgeräten und ist damit die meistbesuchte Website Russlands. Das Internetunternehmen generiert mit 94,1 Milliarden Rubel mehr Werbeeinahmen als Gazprom-Media – der größte Medienkonzern Russlands. Der Wert von Yandex wird auf 10,7 Milliarden Dollar geschätzt. Damit ist Yandex (1,25 Milliarden Dollar Gewinn im Jahre 2016) das teuerste Unternehmen des Runet.

russland.NEWS traf den Generaldirektor von Yandex Europa AG Bernard Lukey und den Regional Manager Manfred Schlosser zu einem Gespräch in Luzern.

Herr Lukey, ich beginne mit einer ganz einfachen Frage: Was macht Yandex in der Schweiz?

Lukey: Die Yandex Europa AG wurde vor sieben Jahren gegründet. So sind wir Großkunden in ganz Europa, die eine Partnerschaft mit Yandex haben möchten, näher und können uns mit ihnen regelmäßig treffen und sind mehr involviert. Für viele Kunden ist es etwas Neues, mit anderen Suchmaschinen zu tun zu haben. Die meisten sind außerhalb Russlands ja auf Google fokussiert.

Viele halten die größte russische Suchmaschine auch für einen Google-Klon…

Lukey: Genau, deswegen muss man sich immer Zeit nehmen, um zu zeigen, dass Yandex in Russland mit 57 Prozent Marktanteil klarer Marktführer im Bereich der Internetsuche ist. In Russland ist Google der Kleine. Außerdem gibt es einen großen Unterschied zwischen den Tools. Yandex bietet ganz andere Möglichkeiten im Bereich Internetwerbung.

Yandex ist die viertgrößte Suchmaschine der Welt und…

Schlosser: Wir sind sogar Nummer zwei.

Oh, Wikipedia sagt aber…

Schlosser: Was die Nutzerzahl angeht, sind wir tatsächlich auf dem vierten Platz. Aber wenn Sie schauen, wieviel Seiten Yandex indexiert hat (was technisch gesehen eigentlich viel wichtiger ist), dann sind wir eindeutig die Nummer zwei. Sie können auch in Deutschland mit Yandex suchen. Die Ergebnisse werden zwar nicht so gut sein wie mit Google, weil Yandex nicht genügend lokalisiert ist, aber Sie finden, was Sie suchen. Unsere Technologien machen es möglich.

Welche Firmen sind an einer Zusammenarbeit mit einer russischen Suchmaschine interessiert?

Lukey: Die Frage müsste lauten: Welche Firmen sind bereit, ihr Business nicht nur auf ihr eigenes Land und ihre Landessprache zu fokussieren? Welche Firmen sind international auf Expansionskurs? Die Europäer sind da etwas ängstlich. Sie sagen, erst gehe ich zum Nachbar und dann schaue ich weiter. Diejenigen, die eine Vision haben, dass ihr Produkt oder ihre Dienstleistung weltweit vertrieben werden kann, die müssen wissen, dass der größte Internet Performance Markt Europas in Russland ist. Allein wenn man die Zahl der Internetnutzer anschaut, macht es mehr Sinn, eine russische Webseite zu starten, als, sage ich mal, eine italienische. Denn es geht um das Marktpotenzial. Firmen, die das verstehen, brauchen Begleitung, und zwar nicht nur wegen der Sprache, sondern weil wir den Markt besser kennen und aufzeigen können, warum Yandex dort so groß ist und was er alles kann. In verschiedenen Internetbereichen gibt es in Russland richtige lokale Big Player. So ist zum Beispiel nicht Facebook, sondern das soziale Netzwerk vk.ru ganz groß.

Was genau bietet Yandex europäischen Kunden?

Lukey: Vor allem geht es um das Performance Marketing. Was Google kann, können wir auch. Ein Marketingexperte muss immer vergleichen: Wer bietet den billigsten Traffic? Den billigsten Klick? In Europa können Sie sich Google Preise anschauen und dann zu Facebook gehen, aber nicht zu einer anderen „Search Engine“. Dabei ist das Suchmaschinenmarketing das Billigste und Effizienteste, was es gibt. Und wenn man zwischen zwei Anbietern vergleichen kann, dann wird es für den Nutzer sehr interessant. In Russland können Sie Google mit Yandex vergleichen. Also ist der russische Markt nicht nur durch die Zahl der Nutzer interessant, sondern auch durch diese Konkurrenz, die die Preise nach unten drückt. Die Firmen, die das verstanden haben und nach Russland exportieren, die investieren jetzt in diesem Bereich massiv, weil sie Marktanteile sichern wollen. Denn langfristig werden die Preise auch in Russland steigern.

Wer sind die Kunden von Yandex in Europa?

Lukey: Die Global Internet Player, aber auch die Autoindustrie, sind ja längst vor Ort und arbeiten mit Yandex von Russland aus zusammen. Der Trend geht heute dahin, dass Technologiekonzerne ihr Performance Marketing nicht outsourcen, weil die Technologien, die dahinterstecken, sehr komplex sind. Die Performance Marketing Kampagnen werden weltweit vom Head-Office gesteuert. Und dann arbeiten sie direkt mit uns oder mit Google zusammen. So haben wir zum Beispiel Trivago, Sixt oder Bonprix als deutsche Kunden.

Wird denn Google in Europa langsam nervös?

Lukey: Nervös vielleicht nicht, aber wie man so schön sagt – „challenged“. Der Wettbewerb ist immer gut.

Yandex ist längst keine reine Suchmaschine mehr. Das Unternehmen hat über die Jahre in verschiedene Bereiche expandiert und bietet heute verschiedene kostenlose und kostenpflichtige Services und Dienste an.

Lukey: Wir haben inzwischen 58 Apps.

Schlosser: Vor einigen Monaten waren es noch 53. Yandex.Health ist zum Beispiel eine ganz neue Sache.

Lukey: Genau. Yandex macht Ihr Leben einfacher und begleitet Sie durch den Tag. Ob Sie ein Taxi brauchen, etwas zum Essen bestellen wollen, eine Überweisung tätigen, einen Flug buchen, eine Mail schreiben oder einen Film anschauen – alles ist mit Yandex machbar. Die Nachfrage ist da und wir haben die notwendige Technologie und genug Daten, um die Services so zu personalisieren, dass Sie sich wohl fühlen.

Sind russische Nutzer für diese technischen Möglichkeiten offener als, sagen wir mal die Deutschen?

Lukey: Die Russen haben keine Bedenken oder Ängste, die neuen Technologien zu gebrauchen. Vielleicht hat das auch mit dem Bildungssystem zu tun, das noch zu Sowjetzeiten im Bereich Mathematik und Naturwissenschaften sehr gut war. Aber generell gilt: Deutschland ist gar nicht im Trend, was die Nutzung der Apps angeht. Hier überwiegen oft die Befürchtungen.

Schlosser: Nehmen Sie das Thema Carsharing. Yandex.Drive hat allein in einem Jahr mit mehr als 2.000 Autos die Mobilität in Moskau regelrecht revolutioniert.

Zuerst aber kam Yandex.Taxi…

Lukey: Genau. Dank Yandex ändert sich in russischen Großstädten vor unseren Augen die Beziehung zum Auto. Vor allem die junge Generation hat das sofort verstanden, denn das macht auch ökonomisch Sinn, kein Auto zu kaufen beziehungsweise nur eins zu benutzen, wenn man es wirklich braucht.

Wie schafft es Yandex, zu spüren, was der neuste Trend ist, um immer vorne dabei zu sein?

Lukey: Auf Basis der Yandex-Technologien entstehen sozusagen interne Start-ups. Jeder Mitarbeiter kann mit einer neuen Idee kommen und die ganze Infrastruktur nutzen, um sie zu verwirklichen. Und wenn die Idee wirklich gut ist, entsteht im Endeffekt eine App. Menschen, die Ambitionen haben, ihr eigenes Business aufzubauen, können das innerhalb von Yandex tun. Manchmal sind das ganz kleine Teams, die die Idee vorantreiben. Das Team von Yandex.Drive bestand aus zehn Leuten. Oder Yandex.Cloud ist ein gutes Beispiel. Es ist noch nicht stabil, noch kein Business-Unit und bringt noch kein Geld rein, aber es entwickelt sich.

Yandex ist auch beim Thema selbstfahrendes Auto ganz stark.

Lukey: Es geht hier um eine grundsätzliche Technologie, für die wir alle Voraussetzungen geschaffen haben. Was braucht man dafür? Die Maps, den Traffic und Technologien, damit das Auto immer intelligenter wird – das alles hat Yandex. Unsere Idee ist, nicht hinter Google oder Tesla hinterher zu hinken. Wir waren dieses Jahr in Las Vegas auf der Consumer Electronics Show und haben unser Auto vorgeführt, da waren die Menschen überrascht. Es geht hier um einen Computer auf Rädern.

Wie würden Sie die Firmenphilosophie von Yandex beschreiben? Denn die meisten russischen Großunternehmen sind sehr konservativ in ihren Strukturen. Wenn man aber Ihnen zuhört, entsteht der Eindruck, Sie reden über Silicon Valley…

Schlosser: Ich fühle mich bei Yandex wie ein Selbständiger innerhalb eines Unternehmens. Das bedeutet, wenn ich eine Idee habe und sie vorantreiben möchte, bekomme ich auch die Möglichkeiten und Ressourcen dafür. Es geht alles unheimlich schnell und flexibel. Und diese Flexibilität gibt einem sehr viel Freiheit. Hierarchien sind bei Yandex fast nicht existent.

Lukey: Yandex treibt nicht die Energie, alles sofort zu monetarisieren, sondern die Idee, was können wir mit unseren Technologien tun, um das Leben der Menschen bequemer zu machen? Welchen Service gibt es noch nicht? Das ist die Motivation, die dahintersteckt. Und obwohl Yandex inzwischen zu einem Riesen mit mehr als 8.000 Mitarbeitern gewachsen ist, sitzt diese Philosophie sehr tief drin.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

 

 

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