Im Jahr 2030 wird jeder fünfte Mensch im arbeitsfähigen Alter auf der Erde Inder sein, hat Bloomberg errechnet. Die Arbeitslosenquote in Indien lag im ersten Quartal dieses Jahres bei 8,05 Prozent, bei den 20- bis 24-Jährigen aber bei 42,8 Prozent. Millionen Inder wandern in andere Länder aus, darunter Russland, das sich mit den Chinesen bereits den ersten Platz bei der Zahl der aus dem Ausland kommenden Arbeitskräfte teilt.
Um die wachsende Bevölkerung mit Arbeit zu versorgen, muss Indien bis zum Ende des Jahrzehnts mindestens 115 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen, was selbst vor dem Hintergrund des derzeitigen Wirtschaftswachstums nahezu unrealistisch ist. In dieser Situation suchen die Inder Arbeit im Ausland, auch in Russland.
Laut der Datenbank des Statistikportals EMISS (Einheitliches behördenübergreifendes System für Information und Statistik) kamen im ersten Halbjahr 2024 9.600 Menschen aus Indien nach Russland, um hier zu arbeiten. Im ersten Halbjahr 2023 waren es 3.280. Im Jahr 2023 waren es dem Portal zufolge insgesamt 6.790 Personen, wobei der größte Zustrom zum Jahresende erfolgte (473 bzw. 674 Inder kamen im ersten und zweiten Quartal, 2.635 bzw. 3.008 im dritten und sechsten Quartal).
Im Jahr 2022 belief sich die Zahl der indischen Einwohner, die zu Arbeitszwecken nach Russland kamen, auf 2.760 Personen. EMISS liefert keine Daten über ausreisende Arbeitskräfte, aber nach Angaben der indischen Gemeinschaft in Russland beläuft sich die Zahl der indischen Community in Russland inzwischen auf 14.000.
Ende 2023 berichtete das russische Einzelhandelsunternehmen Magnit über Pläne zur Einstellung von Arbeitskräften aus Nicht-GUS-Ländern, insbesondere aus Indien, vor allem für den Logistikbereich. Und im Juli 2024 lud die russische BTK Gruppe Inder ein, in ihren Bekleidungsunternehmen in der Region Saratow zu arbeiten.
Vor dem Hintergrund der Sanktionen und des eingeschränkten Zugangs zu westlichen Märkten sucht Russland nach neuen Möglichkeiten, seine Wirtschaftsbeziehungen zu Asien auszubauen, sagt Olga Charina, außerordentliche Professorin und Forscherin an der Higher School of Economics (HSE) in Moskau. Die Anwerbung indischer Arbeitskräfte kann eines der Instrumente zur Stärkung dieser Beziehungen sein. Russland braucht Arbeitskräfte in den Bereichen Metallverarbeitung, Bauwesen, Medizin und Pharmazie. Laut der Expertin sind Inder mit solchen Fähigkeiten bereit, Geld zu verdienen und Russland kann ihnen günstige Bedingungen bieten.
Um in Russland arbeiten zu können, benötigt ein indischer Staatsbürger ein Arbeitsvisum. Der Arbeitgeber muss sich beim Innenministerium für die Einstellung von Ausländern akkreditieren lassen, einen Antrag über die Website „Jobs in Russland“ stellen und sicherstellen, dass sich kein russischer Staatsbürger für die Stelle bewirbt.
Was die Zahl der Arbeitnehmer aus Nicht-GUS-Ländern in Russland betrifft, teilen sich Indien und China die ersten Plätze, sagt Irina Baranowa, CEO und Mitbegründerin des russischen Arbeitskräftevermittlers Intrud. Sie gibt ein Beispiel für die Einstellung indischer Arbeitskräfte aus ihrer eigenen Erfahrung.
„Für ein Bauunternehmen aus dem Moskauer Gebiet haben wir in diesem Jahr 1.000 Kontingente für die Anwerbung von Arbeitskräften aus Indien für verschiedene Berufe erhalten: Betonbauer, Bewehrungsmonteure, Maurer und so weiter. Der Antrag wurde im Februar gestellt, aber der föderale Erlass kam erst im August. Zum Vergleich: In den Vereinigten Arabischen Emiraten dauert es 5 Tage. Wir haben 205 Tage, um eine legale Möglichkeit zu haben, einen indischen Arbeiter einzustellen. Und das ist das Haupthindernis für Inder, in Russland zu arbeiten“, sagt Baranowa.
Der Bedarf an Arbeitskräften in Russland wird heute auf Hunderttausende geschätzt. Auf dem Symposium „Die Zukunft der Bauindustrie: Herausforderungen und Entwicklungsperspektiven“ an der Nationalen Forschungsuniversität der Staatlichen Universität für Bauwesen in Moskau sprach der für das Bauwesen zuständige Vizeministerpräsident Marat Chusnullin im vergangenen Jahr davon, dass bis zum Ende des Jahrzehnts allein in der Baubranche 400.000 Menschen gebraucht würden.
Das traditionelle System mit Arbeitskräften aus Usbekistan, Tadschikistan und Kirgisistan ist nun gescheitert. Zum einen hat der Terroranschlag im Rathaus von Krokus die Einreise von Migranten erschwert – nach dem Anschlag gibt es mehr bürokratische Hürden, zum anderen ist ein Teil der Arbeitskräfte aufgrund der Rubelabwertung in andere Länder abgewandert. Usbekistan selbst wirbt bereits um Inder.
Zweifellos ist die Anwerbung solcher Arbeitskräfte für die Arbeitgeber nicht billig: Die Kosten für die Übersiedlung eines Ausländers nach Russland belaufen sich auf fast 140.000 Rubel (Zoll, Abnahme von Fingerabdrücken, Dokumente), aber das größte Problem ist, dass der Neuankömmling eine russische Sprachprüfung ablegen muss.
Dabei ist die Nachfrage nach solchen Arbeitskräften in Russland sehr groß. Wie Irina Baranowa betont, loben diejenigen, die es geschafft haben, indische Arbeitskräfte anzuwerben, deren Arbeitseffizienz: Auf Baustellen oder beispielsweise in Bekleidungsfabriken sei sie fast viermal höher als die von Russen oder Bürgern der Nachbarländer.
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