Wenn am Montag für den größten Teil der berufstätigen Bevölkerung Russlands eine von Präsident Putin per Dekret vom 25. März verordnete einwöchige, allerdings bezahlte, Zwangspause beginnt, bringt dies für die russische Wirtschaft Verluste in Millionenhöhe. Hatten vor wenigen Tagen Analysten noch gemutmaßt, dass das Land weniger als alle anderen großen Industrienationen unter den Folgen der Corona-Pandemie leiden würde, räumte gestern das Londoner Analyseinstitut Economist Intelligence Unit (EIU) mit diesen Hoffnungen auf. Wie alle anderen G 20-Staaten schlittert auch Russland in eine Corona-bedingte Rezession. Statt der erwarteten Steigerung des Brutto-Inlandsprodukts von 1,6 bis 1,9 Prozent wird die russische Wirtschaft dieses Jahr voraussichtlich mit einem Minus von etwa 2 Prozent abschließen, geht aus dem EIU-Material hervor. Die gesamte Weltwirtschaft wird demzufolge um 2,2 Prozent schrumpfen.
„Dies ist ein wahrscheinliches Szenario für die russische Wirtschaft, wenn der Ölpreis auf dem Niveau von 25 bis 30 US-Dollar bleibt und mit dem Coronavirus verbundene Unsicherheit zunimmt“, sagte Natalia Akindinowa, Direktorin des Entwicklungszentrums der Moskauer Wirtschaftshochschule. Einige russische Analysten sind jedoch nach wie vor optimistischer. „Wir glauben, dass die Dynamik Russlands besser sein wird als die der Weltwirtschaft, weil wir in den letzten fünf Jahren geschlossener und weniger abhängig von den globalen Finanzmärkten geworden sind“, sagt Natalia Orlowa, Chefökonomin bei der Alfa Bank. „Der Rückgang wird geringer sein – etwa 0,5 Prozent, und es ist wahrscheinlich, dass die russische Wirtschaft bis Ende des Jahres ein leichtes Wachstum verzeichnen wird“, stellt sie fest.
Doch nach der EIU-Prognose werden nur drei G20-Volkswirtschaften das Jahr 2020 mit einem positiven Ergebnis abschließen – Indien (2,1 Prozent), China (1 Prozent) und Indonesien (1 Prozent).
In der zweiten Jahreshälfte werden sich, laut EIU, viele Volkswirtschaften erholen, sofern kein neuer Ausbruch der Coronavirus-Epidemie eintritt.
Mehrere führende russische Ökonomen wiesen am Freitag in einem offenen Brief darauf hin, dass die bisherigen Maßnahmen der Regierung des Landes zur Unterstützung der Wirtschaft „absolut unzureichend sind“. „Zur Unterstützung der Unternehmen, Bürger und Banken wären 5 bis 10 Billionen Rubel erforderlich“, machen sie deutlich. Das entspricht etwa 55 bis 110 Milliarden Euro.
Am Mittwoch hatte Präsident Putin eine Reihe von Sofortmaßnahmen vorgeschlagen, um vor allem kleine und mittlere Unternehmen vor den existenzbedrohenden Folgen der Corona-Pandemie zu schützen.
So soll diesen „von der Krise am stärksten betroffenen Betrieben“ für die nächsten sechs Monate ein Aufschub aller Steuern mit Ausnahme der Mehrwertsteuer gewährt werden. Darüber hinaus stellte er ihnen eine sechsmonatige Aussetzung der Rückzahlung von Krediten in Aussicht.
Die Regierung und die Zentralbank sollten außerdem „zusätzliche Maßnahmen vorschlagen und ergreifen, um eine nachhaltige Kreditvergabe an den realen Sektor sicherzustellen, einschließlich der Bereitstellung staatlicher Garantien und Subventionen“.
Der Präsident sprach sich zudem für die Einführung eines Moratoriums für Gläubigeranträge auf Insolvenz von Unternehmen und die Einziehung von Schulden und Geldbußen für einen Zeitraum von sechs Monaten aus.
Die russische Handels- und Industriekammer wies unterdessen besorgt darauf hin, dass ohne umfangreiche staatliche Hilfe etwa drei Millionen Unternehmer ihre Betriebe schließen müssten, was den Verlust von fast neun Millionen Arbeitskräften zur Folge hätte.
(hh/russland.news)
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