Minutiös verfolgen russische Medien, wo sich die beiden Rohrverlegeschiffe Pioneering Spirit und Solitaire, befinden. Mit jedem Kilometer, denen sich die Schiffe der deutschen Küste näherten, steigen die Chancen für Gazprom, vor Inkrafttreten der neuen US- Sanktionen die Verlegung zu beenden.
Den beiden Spezialschiffen des Schweizer Unternehmens Allseas fehlen bei den beiden Röhren jeweils 130 und 150 Kilometer. Das weltweit größte Rohrverlegeschiff Pioneering Spirit hat zwanzig Kilometer Vorsprung Richtung Süden. Die Solitaire liegt rund drei Tage zurück. Mehr als ein halbes Dutzend Schiffe sind im Einsatz, um die Stahlrohre aus dem Hafen von Sassnitz auf Rügen zu den beiden Verlegeschiffen zu bringen.
Diesem hochmodernen maritimen Treiben droht ein jähes Ende. Allseas hat diese „wissentliche Verlegung von Rohren in einer Tiefe von 30 Meter oder mehr für den Bau von Nord Stream 2“ ausgesetzt – noch vor der Unterzeichnung des im Militärhaushalt angesiedelten Gesetzes durch Präsident Donald Trump. USA-Politiker hatten der Firma mit „potenziell vernichtenden“ Sanktionen gedroht, sollte sie die Pipeline fertigbauen. Das Unternehmen wartet auf Erklärungen von den US-Behörden, sagte Allseas einer Mitteilung.
Die Maßnahmen gegen Unternehmen sowie deren Top-Manager, die Schiffe für die Verlegung von Rohren entlang des Ostseebodens bereitstellen, umfassen die Sperrung aller amerikanischen Vermögenswerte und ein Betriebsverbot für diese Unternehmen. Wer genau unter den neuen Sanktionen leiden wird, ist noch nicht klar. Das Dokument verpflichtet die US-Außen- und Finanzminister innerhalb von 60 Tagen, Vorschläge vorzulegen, gegen wen Sanktionen verhängt werden sollen.
Michail Krutikhin von der Beratungsfirma Rusenergy, eigentlich ein scharfer Kritiker des Projekts wegen der immensen Kosten, glaubt nicht daran, dass die Sanktionen rechtzeitig in Kraft treten. So werden den betroffenen Gazprom-Partnern 30 Tage Zeit eingeräumt, um die Arbeiten abzuwickeln. Zudem gelten die Beschränkungen lediglich für Arbeiten ab einer Tiefe von 30 Metern. Das würde bedeuten, dass die Bauarbeiten an den letzten rund 50 bis 70 Kilometern vor der deutschen Küste gar nicht mehr betroffen seien. Die neuen Sanktionen bieten genügend Schlupflöcher, so Krutikhin.
Was bleibt ist, dass Gazprom bisher nicht in der Lage ist solche Leitungen komplett im Alleingang zu legen. Das Betreiberkonsortium der Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 will das Projekt trotz der US-Sanktionen fertigstellen. Da sei ein „wesentlicher Bestandteil der europäischen Versorgungssicherheit“, teilte das Unternehmen am Samstag mit. „Zusammen mit unseren Partnerfirmen arbeiten wir an der schnellstmöglichen Fertigstellung des Projektes.“
Also muss Russland nach alternativen Schiffen und Auftragnehmern suchen, die am Meeresboden dänischer Hoheitsgewässer bestimmte Verlegearbeiten dürfen, wenn die Sanktionen rechtskräftig werden. Alternativen zur Pionieering Spirit, die pro Tag rund fünf Kilometer Rohre in einer Tiefe von bis zu vier Kilometern verlegen kann? Kein anderes Schiff kann dies schneller.
Auch russische Unternehmen betreiben leistungsfähige Offshore-Pipeline-Schiffe, die Projekte unter schwierigen arktischen Bedingungen abgeschlossen haben. Eins davon ist der MRTS Defender, der an der Offshore-Strecke der Pipeline Bowanenkowo-Uchta gearbeitet hat. Doch es kann nur im Flachwasser und nicht in der ganzen Ostsee eingesetzt werden. Laut dem Unternehmen beträgt die Tiefe, für die das Schiff ausgerichtet ist, höchstens 150 Meter. In Küstennähe allerdings kann Gazprom mit der Defender rechnen.
Gazprom hat für den Notfall vorgesorgt und ein eigenes Verlegeschiff, die Fortuna, auf Rügen im Hafen von Mukran in Stellung gebracht hat, wo sich das Logistikterminal Nord Stream 2 befindet. Die TUB Fortuna sei in der Lage, den letzten Abschnitt fertig zu bauen – wenn auch nicht ganz so schnell wie die ausländische Konkurrenz. Mit Hilfe der Fortuna ließe sich ein Kilometer pro Tag verlegen.
Die Fortuna wurde 2010 auf der Schwerindustriewerft Shanghai Zhenhua gebaut und gilt als das Flaggschiff der russischen Rohrverlegungsflotte, mit der Rohre bis zu einer Tiefe von 200 Meter verlegt werden können. Erst im Juli wurde es im Auftrag von Dmitri Medwedew in die Liste der Schiffe aufgenommen, die am Bau der Offshore-Gaspipeline teilnehmen durften.
Die Tiefe der Ostsee im Gebiet südöstlich von Bornholm, wo die Nord Stream 2-Route verläuft, liegt im Bereich von 10 bis 25 Meter, sodass die Möglichkeiten der Fortuna mehr als ausreichend sind. Hinderlich ist allerdings, dass laut der dänischen Genehmigung die zur Vervollständigung des dänischen Abschnitts verwendeten Schiffe über dynamische Positionierungsfähigkeiten verfügen müssen – so wie die der Schiffe von Allseas. Die russische Fortuna verfügt über kein dynamisches Positionierungssystem, und kann folglich in den Hoheitsgewässern Dänemarks nicht arbeiten.
Als dritte Alternative verbleibt das von Gazprom im Jahr 2016 erworbene Verlegeschiff Akademik Tscherski, das über ein dynamisches Positionierungssystem verfügt. Es würde jedoch bis zu zwei Monate dauern, bis es in dänischen Gewässern ankommt, da es derzeit in Russlands Fernem Osten im Hafen von Nachodka in der Nähe von Wladiwostok verwendet wird.
Eile scheint bei Gazprom nicht geboten, noch hofft man wohl auf den erfolgreichen Abschluss der Arbeiten mit den Schiffen von Allseas. Es wird erwartet, dass der Bau der Leitung nun teurer wird und sich verzögert. Nur wenige Experten in Moskau glauben daran, dass Nord Stream 2 tatsächlich noch gestoppt werden könnte. Trotz Washingtons „Gesetz zum Schutz von Europas Energiesicherheit“ gibt sich Moskau gelassen.
Swiss Allseas, der Vertragspartner von Gazprom für Nord Stream 2, hat die Arbeiten an dem Projekt vorerst eingestellt. Dessen Rohrverlegungsschiffe verließen die Gewässer Dänemarks und werden nach Angaben des MarineTraffic-Ortungssystems für den 22. Dezember in den deutschen Hafen Mukran verschifft.
Die russischen Behörden und Gazprom, der Gründer und Anteilseigner der Nord Stream 2 AG, haben die US-Sanktionen bisher eher unbeteiligt kommentiert. Lediglich das russische Außenministerium hat einen Kommentar zu den US-Sanktionen abgegeben.
Nord Stream 2 soll vom kommenden Jahr an Gas von Russland nach Deutschland liefern. Bislang wurden nach Angaben des Nord-Stream-2-Konsortiums mehr als 2100 Kilometer des Doppelstrangs in der Ostsee verlegt. Knapp 300 Kilometer fehlen noch.
[hrsg/russland.NEWS]
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