„Weiterhin ein attraktiver Zielmarkt“Dr. A. Knaul

„Weiterhin ein attraktiver Zielmarkt“

Die Beratungsgesellschaft Rödl & Partner gehört zu den größten deutschen Kanzleien in Russland. russland.NEWS sprach mit dem Chef der Niederlassung in Moskau Rechtsanwalt Dr. Andreas Knaul über die Perspektiven des russischen Marktes für deutsche Unternehmen.

Herr Dr. Knaul, wie verlief das Jahr 2021 für die deutschen Unternehmen in Russland?

Auf Grund der immer noch herrschenden Pandemie gab es einige erhebliche Herausforderungen für Teilnehmer am russischen Markt. Auch Sanktionen und Gesetzesneuerungen haben das Geschäftsleben verändert. Unternehmen mussten sich anpassen, um marktfähig zu bleiben. Auch wir Berater haben unsere Expertise permanent an die Veränderungen angepasst. Im Jahr 2021 standen nicht zuletzt technische und digitale Bewältigungsstrategien der aktuellen Herausforderungen im Vordergrund.

Momentan stellt die forcierte Lokalisierung und der Ausschluss von einem großen Teil von ausländischen Herstellern im Vergabeprozess für öffentliche Beschaffungen eine besondere Herausforderung dar. Andererseits bieten erleichterte Zollbestimmungen und die staatliche Förderung zur Erzeugung von Produkten im EAWU-Binnenmarkt Chancen und einen attraktiven Absatzmarkt auch für deutsche Mittelständler.

Welche Herausforderung meinen Sie konkret?

Gegen Russland wurden von der EU neue sektorale Finanz- und Wirtschaftssanktionen sowie Sanktionen gegen natürliche und juristische Personen auf Grund des Konflikts um die Ukraine verhängt. Sie kommen zu den bisher bestehenden Sanktionen dazu. Diese äußern sich unter anderem im Waffenembargo, Beschränkungen des unmittelbaren und mittelbaren Zugangs zu Kapitalmärkten für bestimmte Finanzinstitute, Einfuhr- sowie Investitionsverboten. Auch die USA haben ihre Sanktionen gegen Russland im vergangenen Jahr verstärkt. Darauf antwortete Russland ebenfalls mit Sanktionen in Form von Einreiseverboten und Einfuhrverboten für Lebensmittel. Für unsere Mandaten bedeutet dies neben anderen Dingen, dass bei der Vertragsgestaltung Exportkontrollklauseln beachtet werden müssen, Joint Ventures speziellen Regelungen unterliegen und Kontrollinstrumente wie spezifische Audits eine größere Rolle spielen.

Neuerungen gab es auch im Patent- und IP-Recht mit entsprechenden neuen Positionen des Obersten Gerichts Russlands.
Auch mussten wir unsere Beratungstätigkeit dem neuen deutschen Lieferkettengesetz anpassen, welches unsere Mandanten auf russischer sowie auf deutscher Seite in Zukunft stärker beeinflussen wird.

Aber eins ist klar: Wer den Zugang zum russischen Markt trotz teilweise aufwändiger Genehmigungsverfahren sowie spezieller Vorschriften bezüglich der Kennzeichnung und Zertifizierung in Russland navigieren kann, dem öffnet sich ein wirtschaftlich lohnender Standort.

Welche Branchen haben trotzt diesen schwierigen Bedingungen gute Perspektiven auf dem russischen Markt?

Perspektiven lassen sich im Bereich des Umweltschutzes klar erkennen. Die russische Regierung arbeitet derzeit an einem Plan für die Dekarbonisierung Russlands bis 2050. Da russische Unternehmen auch im Hinblick auf ihre eigene Position auf dem Weltmarkt immer umweltbewusstere Verfahren und Kooperationspartner wählen, ist dies für deutsche Unternehmen eine große Chance. Diese sind in Russland nämlich für ihr Umweltbewusstsein und Know-how in Sachen Klimaneutralität und Nachhaltigkeit hochgeschätzt.
Weiterhin ist die Medizintechnikbranche ein interessantes Gebiet speziell für die deutsch-russische Kooperation, da diese zwar besonders im Zuge der Pandemie gestärkt wurde, aber Russland den Schritt vom Prototyp zur Massenproduktion in diesem Bereich noch nicht gegangen ist.
Nach einem vorhergesagten Anstieg des BIP im Jahr 2021 um 3,5 Prozent soll es sich 2022 und 2023 in einem Bereich knapp über 2,5 Prozent im Durchschnitt einpendeln. Der russische Markt wird den Vorhersagen nach also weiterhin ein attraktiver Zielmarkt für deutsche Unternehmen bleiben und sich behaupten können.

Was würden Sie als Besonderheiten des Marktes in Russland bezeichnen?

Nun, fangen wir damit an, dass Russland flächengrößtes Land der Welt und einer der größten Produzenten von preiswerter Energie ist. Damit sind hier Unternehmen im Vorteil, die viel Platz und Energie brauchen.
Zur staatlichen Unterstützung von (industrieller) Produktion gibt es beispielsweise Sonderwirtschaftszonen (SWZ), welche auf Industrie, innovative Technologien oder touristische Wirtschaft zugeschnitten sind, sowie auch „alte Zonen“ die schon vor den 1990er Jahren gegründet wurden. SWZ bieten interessierten Unternehmen eine gute Verkehrsanbindung, fertig erschlossene Grundstücke und Zugang zu potenziellen Zulieferern in unmittelbarer Umgebung.
Dieses Konzept ist sehr erfolgreich, was man an der Industrie-SWZ in Lipezk, Alabuga in Tatarstan oder der Moskauer SWZ „Stupino Quadrat“ sieht. Unternehmen wie die russische Tochtergesellschaft des Medizintechnikherstellers „Fresenius“ haben sich entschieden, SWZ zu nutzen und sind dort niedergelassen. Russische SWZ bieten nach unserer Erfahrung einen fruchtbaren Raum für die Entwicklung deutscher auch kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU).

Apropos KMU. Haben sie gute Chancen auf dem russischen Markt?

Konkret bestehen für KMU Vergünstigungen wie leichterer Zugang zu staatlichen Ausschreibungen oder Kreditprogrammen. Daneben bestehen für KMUs im Rahmen des Covid-Supports der Regierung folgende Vergünstigungen: Gehaltszuschüsse, Kreditprogramme, Steuerstundungen, Senkung der Beträge des Arbeitgebers in die gesetzliche Sozialversicherung, etc.
Seit 2020 können auch Gesellschaften mit ausländischer Beteiligung (d.h. Anteil am Eigenkapital einer OOO von über 49 Prozent) ins KMU-Register eingetragen werden, wenn sie anderen gesetzlichen Kriterien zur Annahme als KMU entsprechen. Dabei wird eine Wirtschaftsprüfung benötigt. Hier kann Rödl & Partner bei der Registrierung als KMU behilflich sein.
Der Status der KMU ist auch aus Kreditsicherungsgründen in Russland interessant. Seit September 2021 finanziert die KMU-Körperschaft weiterhin auch ein neues Instrument der finanziellen Förderung, die sog. „Schirmbürgschaft“. Diese Bürgschaft macht Kredite für diejenigen KMU zugänglich, denen sie vorher verweigert wurden, und kann bis zu 50 Prozent des Kreditbetrags absichern (für Prioritätsbereiche wird diese Sicherung 85 Prozent erreichen).
Das Programm zur Stimulierung der Kreditvergabe an KMU-Unternehmen fixiert den Zinssatz für Kredite in Höhe von mindestens 3 Millionen Rubel auf einem Niveau, das die Höhe des Leitzinses der Bank von Russland, erhöht um 3 Prozentpunkte, nicht übersteigt.

Welche Spuren hat Covid-19 in Russland hinterlassen?

Natürlich ist die Covid-19-Pandemie auch an Russland nicht spurlos vorbeigezogen. Der Nachfragerückgang an den Weltmärkten nach Rohstoffen und eine eingeschränkte und veränderte Marktsituation waren vor allem für den Außenhandel Russlands nachteilig. Aber es kann auch positiv vermerkt werden, dass das russische Bruttoinlandsprodukt lediglich um drei Prozent gefallen ist. Staatliche Maßnahmen wie Ausgaben für eine Belebung der Konjunktur und eine Hebung des Leitzinses auf 6,75 Prozent durch die Zentralbank haben die negativen Auswirkungen durch Pandemieeinschränkungen gut aufgefangen.
Die zweite Pandemiewelle verlief in Russland mit weniger weitreichenden Folgen, und so kann man erneuten Einschränkungen recht optimistisch entgegensehen. Der strukturelle Fortschritt z. B. in Form von Digitalisierung ermöglicht nicht nur einen Aufschwung der Konjunktur durch digitale Dienstleistungen und Zahlungsmöglichkeiten, sondern ermöglicht es Unternehmen, die Arbeit ins Home-Office zu verlegen, ohne dabei an Qualität einzubüßen. So war es unserer Kanzlei auch möglich, innerhalb kürzester Zeit die Arbeit vom Büro in Moskau in die Home-Offices der Mitarbeiter zu verlegen, als die regulatorische Situation dies forderte.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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