Vorstandsvorsitzender der AHK-Russland Matthias Schepp: „Unsere Unternehmen fühlen sich in Russland nach wie vor willkommen“

Vorstandsvorsitzender der AHK-Russland Matthias Schepp: „Unsere Unternehmen fühlen sich in Russland nach wie vor willkommen“

Herr Schepp, in letzter Zeit haben viele deutsche Firmen Russland verlassen. Geht es der deutschen Wirtschaft in Russland so schlecht?

Matthias Schepp: Da muss ich Ihnen widersprechen. Die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer (AHK) hat in den vergangenen zwei Jahren 10 Prozent Zuwachs an Mitgliedern. Und die Deutsche Bundesbank hat für das Jahr 2017 Netto-Direktinvestitionen von 1,6 Milliarden Euro nach Russland vermeldet, und für die ersten drei Quartale des vorigen Jahres – mehr als zwei Milliarden. Beinahe jede Woche führe ich Gespräche mit deutschen Mittelständlern, die in Russland investieren wollen.

Ja, es stimmt. Die Zahl der in Russland registrierten Firmen ist zurückgegangen. Da haben wir einen Rückgang von mehr als 20 Prozent, wenn wir das mit dem Höchststand von 2011 vergleichen, als knapp 6300 Unternehmen in Russland gemeldet waren. Der Rückgang hatte mit einer Reihe von Faktoren zu tun: einer veränderten Berechnungsgrundlage, der schwächelnden Konjunktur, den Sanktionen, dem Rubelkurs, der bei Firmen, die nur nach Russland exportieren, zu einer Marktbereinigung geführt hat. Die Quantität ist gesunken, aber die Qualität des Engagements hat auf gar keinen Fall nachgelassen.

Was bedeutet das konkret?

Matthias Schepp: Es wird mehr investiert. Und das hat in erster Linie mit dem Rubelkurs zu tun. Im Jahre 2013 stand der Euro zum Rubel 1 zu 35, jetzt ist der Kurs ungefähr 1 zu 75. Das heißt: Wenn Sie heute eine Fabrik hier bauen wollen, kostet das ungefähr die Hälfte. Der Markt ist aber nach wie vor groß und attraktiv. Viele Firmen, die nach Russland exportierten, stehen jetzt vor der Frage: lokalisieren oder den Markt verlieren. Wie mein amerikanischer Kollege von der American Chamber of Commerce (Amcham) es ausdrückt: “Localize or die“. Das ist einfache Mathematik. Für russische Abnehmer ist es manchmal schlichtweg zu teuer, deutsche Exporte zu kaufen.

Sie sagen oft, dass das Fundament der deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen durch nichts zu erschüttern ist. Was passiert aber, wenn das Projekt Nord Stream 2 eingestellt wird?

Matthias Schepp: Wir gehen fest davon aus, dass Nord Stream 2 gebaut wird und freuen uns über die Haltung der Bundesregierung, die hinter diesem Vorhaben steht. Und zwar nicht aus Liebe zu Nord Stream 2, sondern aus wohlverstandenem deutschem Eigeninteresse. Deutschland als Industrienation braucht günstige Energiepreise, und dazu wird diese Pipeline einen Beitrag leisten. Die deutsch-russische Beziehungen haben sich auch in schwierigen politischen Situationen als krisenresistent erwiesen. Sie sind von hunderten von mittelständischen Unternehmen getragen, darunter viele Familienunternehmen. Und da wird langfristig gedacht und sauber gerechnet. Diese Firmen sind nicht so anfällig gegen diverse konjunkturelle Schwankungen oder Sanktionsdrohungen wie vielleicht große Konzerne.

Apropos Sanktionsdrohungen. Was sagen Ihnen deutsche Firmen, die von den Amerikanern wegen Nord Stream 2 unter Druck gesetzt werden?

Matthias Schepp: Sie sind sauer. Europäische Sanktionen können die meisten Firmenvertreter irgendwie nachvollziehen: Sie sollen eine Verhaltensänderung herbeiführen. Bewegt sich Russland beim Minsker Abkommen, können die Sanktionen zurückgedreht werden. Die amerikanische Position ist aber, Russland auf der ganzen Linie abzustrafen. Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, am liebsten für alles Übel, das irgendwo auf der Welt passiert.

Wie gut ist Ihr Draht zur russischen Regierung?

Matthias Schepp: Da kann die AHK nicht klagen. Wir haben einen intensiven Austausch insbesondere mit den für uns wichtigsten Ministerien für Wirtschaft und für Industrie und Handel. Da kommt es wöchentlich zu Treffen und so gut wie täglich zu Telefonaten. Insgesamt fühlen sich unsere Unternehmen in Russland nach wie vor willkommen, auch wenn es wegen des auch in Russland zunehmenden Protektionismus zu mehr Konflikten kommt.  

Allerdings ist der Ton der russischen Politik etwas barsch. Das kann deutsche Unternehmer auch abschrecken. 

Matthias Schepp: Zuerst einmal sagen wir unseren russischen Partnern ganz deutlich, dass scharfe Worte erheblichen Schaden bei Investoren anrichten. Ich will da ein Beispiel herausgreifen. Voriges Jahr war in der Staatsduma davon die Rede, ausländische Manager unter Strafe zu stellen, wenn sie ausländische, gegen Russland gerichtete Sanktionen befolgen. Das hätte ein massives Problem für deutsche Firmenchefs hier in Russland bedeutet. Denn sie hätten entweder gegen die westlichen Sanktionen oder gegen ein entsprechendes russisches Gesetz verstoßen. Ich kenne Russland seit mehr als 25 Jahren und mir war von Anfang an klar, dass da viel Druckkulisse nach außen aufgebaut wurde, und dass dieses Vorhaben so nicht durchgesetzt wird. Am gleichen Tag haben uns das wichtige Duma-Abgeordnete hinter vorgehaltener Hand auch so zugesichert. Aber der Schaden ist dennoch entstanden. Da mussten Russlandchefs deutscher Konzerne zum Blitzrapport in der Zentrale antreten, zum Teil auf Vorstandsebene.  

Herr Schepp, Sie sind sozusagen ein Wahlmoskauer. Kennen Sie auch andere Regionen in Russland? Man sagt, dass der Unterschied zwischen der Hauptstadt und den Provinzen gigantisch ist. 

Matthias Schepp: Wissen Sie, Moskau, mit seinen 12 Millionen Einwohnern, ist die Lokomotive. Der Zuwachs an Wohlstand und Fortschritt seit den 90ern ist beachtlich. Ich bin ein großer Fan dieser Stadt. Oberbürgermeister Sergej Sobjanin hat eine Mannschaft aus jungen Leuten, und das merkt man der Stadt an. Jeder, der nach Moskau kommt, spürt diese Dynamik. Moskau ist in vielen Bereichen zu der modernsten Stadt Europas geworden. So gesehen hinkt das Land natürlich hinterher. Aber es gibt auch Städte – wie Kasan, Nowosibirsk, Jekaterinburg – die eine vergleichbare Entwicklung durchmachen, wenngleich auf etwas niedrigerem Niveau.  

Sie waren viele Jahre als Journalist in Moskau tätig, jetzt leiten Sie die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer. Was hat sich in Ihrer Wahrnehmung des Landes verändert? 

Matthias Schepp: Als Journalist habe ich mich immer als eine Art Übersetzer verstanden. Ich wollte die Verhältnisse in Russland so schildern, dass sich Leserinnen und Leser in Deutschland selbst ein Bild über dieses Land machen können. Das war mein Anspruch. Oft gilt für Journalisten, dass nur eine schlechte Nachricht eine gute Nachricht ist. Insofern funktioniert mein neuer Job anders. Als Kammerchef hüte ich mich natürlich davor, die Dinge schön zu reden. Würde ich das tun, würden die AHK-Mitglieder uns abstrafen. Sie sind nüchterne Geschäftsleute und wollen gut beraten sein, denn es geht nicht selten um viel Geld. Mir ist in meinem neuen Job wichtig herauszustreichen, was an wirtschaftlichen Möglichkeiten da ist. Und zwar, weil dies in der Öffentlichkeit oft übersehen wird. Außerdem gehört die Wirtschaft genauso wie die Zivilgesellschaft und die Kultur zu der Basis, die in schwierigen Zeiten das Band zwischen unseren Völkern zusammenhält. Also wenn ich früher „Übersetzer“ war, da würde ich mich heute als „Brückenbauer“ sehen. Die Realität in Russland ist besser, als das Bild von Russland.  

2008 ist Ihr Buch „Gebrauchsanweisungen für Moskau“ erschienen. Wenn Sie heute eine aktualisierte Auflage schreiben würden, was würden Sie ändern? 

Matthias Schepp: Oh, da würde ich über dieses tolle, moderne, dynamische Moskau schreiben, das in zehn Jahren einen Quantensprung nach vorne gemacht hat. Über die Stadt, wo man Verkehrsstrafen im Laufe einer Stunde online und die Parkgebühren minutengenau über sein Handy bezahlen kann. Über die Stadt mit einer unglaublichen Vielfallt an Restaurants mit der Küche aus allen Regionen der Welt und freundlicher Bedienung. Der Kontrast zu Anfang der 90er ist einfach sensationell. Und die Dinge verändern sich in einer so rasenden Geschwindigkeit, dass man als ein an Effizienz gewöhnter Deutscher nur sagen kann: Klasse!

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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