Sibirien-2-Pipeline: China verlangt von Gazprom Gas zu russischen Inlandspreisen

Sibirien-2-Pipeline: China verlangt von Gazprom Gas zu russischen Inlandspreisen

Russlands Versuche, ein umfassendes Abkommen über den Bau der Power of Siberia-2-Gaspipeline nach China zu schließen, sind „ins Stottern geraten“, weil Moskau die Forderungen Pekings in Bezug auf Preise und Liefermengen für unangemessen ungerechtfertigt hält, berichtet die Financial Times.

Drei mit der Situation vertraute Quellen sagten der Zeitung, China habe einen Preis verlangt, der „nahe an den stark subventionierten russischen Inlandspreisen“ liege. Außerdem wolle China „nur einen kleinen Teil“ der geplanten Jahreskapazität der Pipeline von 50 Milliarden Kubikmetern Gas abnehmen.

Moskau hält diese Forderungen für unangemessen. Peking kauft russisches Gas bereits billiger als von anderen Lieferanten, will aber einen noch größeren Rabatt.  Zwei Quellen nannten diese Situation als Grund dafür, dass Gazprom-Chef Alexej Miller beim Besuch des russischen Staatschefs in Peking nicht Teil der russischen Delegation war.

Ein Abkommen über den Bau der Pipeline, die Gas von den Jamal-Feldern durch Westsibirien und die Mongolei in die nordöstlichen Provinzen Chinas liefern soll, würde es Gazprom ermöglichen, seine Position zu verbessern. Der Nettoverlust von Gazprom im Jahr 2023 aufgrund der Sanktionen und des erzwungenen Rückzugs vom europäischen Markt beläuft sich auf 630 Milliarden Rubel, also 6,3 Milliarden Euro.

Der Kreml und Gazprom lehnten eine Stellungnahme ab. Der russische Präsidentensprecher Dmitri Peskow bestätigte bei einem Briefing am 3. Juni, dass Wladimir Putin und Xi Jinping über „weitere Lieferungen im Bereich der Energieressourcen“ gesprochen hätten. Die kommerziellen Aspekte der Gespräche seien nicht öffentlich. „Es ist völlig normal, dass jedes Land seine Interessen verteidigt, und hier werden die Gespräche fortgesetzt, weil es der politische Wille der Führer beider Länder ist, dies zu tun. Und die Koordinierung der Handelsfragen wird fortgesetzt, und wir haben keinen Zweifel daran, dass alle notwendigen Vereinbarungen getroffen werden“, so Peskow.

Der kremlnahe Analyst Sergej Markow vermutet, dass die Reise eine größere, verborgene Bedeutung hatte, als es auf den ersten Blick scheinen mag. „Die wichtigste Frage, die bei den Gesprächen geklärt wurde, war absolut geheim“, sagte er. „Niemand wird jemals das vollständige Ergebnis der Reise erfahren, da es darum geht, ein Handelssystem zwischen den beiden Ländern zu schaffen, das für die Amerikaner völlig abgeschottet ist und außerhalb der Reichweite von Sekundärsanktionen liegt.“ Es gab keine Bestätigung für seine Behauptungen.

Michail Krutichin, Partner der Informations- und Beratungsagentur RusEnergy, fragt sich wozu Gazprom diese Pipeline braucht? China verfügt über andere Optionen für seine Energieentwicklung. Das Land hat vier Gaspipelines aus Zentralasien, und die eigene Produktion wächst schnell. Zudem hat Gazprom zwei Verträge mit den Chinesen. Der erste Vertrag betrifft die Power of Siberia 1, über die Gazprom 30 Jahre lang jährlich 38 Milliarden Kubikmeter Gas nach China liefern wird. Zweitens ist die sogenannte Fernostroute in Planung, über die aus Sachalin über Chabarowsk10 Milliarden Kubikmeter pro Jahr nach Wladiwostok fließen sollen.

China halte alle Trümpfe in der Hand. Sie sehen die verzweifelte Lage Russlands und wissen, was sie verlangen können. Hinzu kommt, dass niemand außer Gazprom selbst das Projekt finanzieren wird. Krutichin geht davon aus, dass Gazprom am Ende grünes Licht für den Bau dieser Pipeline bekommt. Wenn sie denn fertiggestellt werden sollte, könne sie mit ihrer geplanten Kapazität von 50 Milliarden Kubikmeter  niemals den Verlust des europäischen Marktes ausgleichen, der 155 Milliarden Kubikmeter pro Jahr umfasste.

Die Kosten für diese neue Pipeline in der von ihnen angestrebten Größenordnung schätzt Krutichin auf mindestens 100 Milliarden Dollar. 77 Milliarden Dollar hat Gazprom für die erste Power of Siberia ausgegeben, die wenig rentabel ist, da die Einnahmen kaum die Betriebskosten für Gasförderung und Transport decken. Bis 2029 könnten die Rohre der Siberia 2 verlegt sein und der Gastransport beginnen. Um auf 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr zu kommen, werden bis zu zehn Jahren vergehen.

Der Publizist Anatoli Nesmijan kommentiert den FT-Artikel mit drastischen Worten: „Eigentlich ist das der Gipfel der Naivität: den größten und profitabelsten europäischen Markt zu verlieren und dann zu versuchen, von China Schokoladenkonditionen zu bekommen.“ China sei gar nicht auf russisches Gas angewiesen und entwickele aktiv erneuerbare Energien, um ihr Energiesystem von externen Lieferungen unabhängig zu machen. Die Erzeugungskapazität erneuerbarer Energien in China sei bereits größer als die des gesamten russischen Energiesystems. „Daher die Forderung Chinas, russisches Gas zum russischen Inlandspreis zu verkaufen, der aus dem Haushalt subventioniert wird. Wenn du so dumm bist, dann bezahle für deine Dummheit – das ist tatsächlich die Logik der Chinesen“, so Nesmijan.

Wladimir Putin stattete China am 16. und 17. Mai einen Staatsbesuch ab. Es war seine erste Auslandsreise seit seinem fünften Amtsantritt. Putin wurde von einer beeindruckenden

Delegation aus Geschäftsleuten und zahlreichen Beamten der wieder ernannten russischen Regierung begleitet. Unter ihnen waren die neuen und ehemaligen Verteidigungsminister Andrej Beloussow und Sergej Schoigu, der erste stellvertretende Ministerpräsident Denis Manturow, die stellvertretenden Ministerpräsidenten Alexander Nowak, Dmitri Tschernyschenko und Tatjana Golikowa, die Gouverneurin der Zentralbank Elvira Nabiullina, der Minister für wirtschaftliche Entwicklung Maxim Reschetnikow und der Vorstandsvorsitzende der Sberbank German Gref.

Ein weiteres wichtiges Thema war die Stärkung der Zusammenarbeit mit chinesischen Banken, die sich nicht so aktiv entwickelt, wie Russland es sich wünscht. Wie die Zeitung weiter berichtet, habe Putin Xi Jinping gebeten, nicht am Ukraine-Friedensgipfel in der Schweiz teilzunehmen.

Im Anschluss an die Gespräche unterzeichneten die Staatsoberhäupter eine gemeinsame Erklärung über die Vertiefung der Beziehungen im Rahmen einer umfassenden Partnerschaft und strategischen Zusammenarbeit“. Insgesamt wurden 11 Dokumente über die Zusammenarbeit beider Länder unterzeichnet. Entgegen den Erwartungen waren darunter keine bilateralen Abkommen von strategischer Bedeutung. Die Präsidenten und ihre Delegationen einigten sich auf die Lieferung von Topinambur und Rinderknorpel sowie auf die Stärkung der staatlichen Propaganda.

[hrsg/russland.NEWS]

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