Scharia-Normen: Wie Russland islamisches Kapital anzuziehen versucht

Scharia-Normen: Wie Russland islamisches Kapital anzuziehen versucht

Im Mai 2025 fanden gleich zwei Konferenzen statt, die sich mit der Entwicklung des islamischen Bankwesens in Russland befassten, genauer gesagt mit dem Experiment der „Partnerschaftsfinanzierung”. Nun wird der Gesetzentwurf zur Verlängerung der Laufzeit des Experiments um möglicherweise gleich fünf Jahre für die zweite Lesung in der Staatsduma vorbereitet.  

Auf dem Forum „Russland-Islamische Welt” in Kasan unterzeichneten die VEB-Bank und die Republik Tatarstan ein Abkommen über die Entwicklung von Investitionsprogrammen mithilfe partnerschaftlicher Finanzierungsinstrumente. Diese Richtung wird auch im Bereich der persönlichen Finanzen umgesetzt. Es gibt jedoch immer noch Probleme mit der Verbreitung von Wertpapieren, die gemäß den Scharia-Normen ausgegeben werden. 

Die Grundsätze des islamischen Bankwesens beruhen auf den Prinzipien der Scharia, das heißt einem strikten Verbot von Wucher, also dem Verleihen von Geld gegen Zinsen, sowie jeglicher Investition in Alkohol, Glücksspiel, die Herstellung oder den Verkauf von Schweinefleisch und Zigaretten. Ebenfalls verboten sind risikoreiche Investitionen und Börseninstrumente wie Termingeschäfte und Optionen, Leerverkäufe und jede Form der Spekulation. Jedes Unternehmen sollte für das Wohl der Gesellschaft arbeiten, das heißt, das Leben der Menschen verbessern. Es scheint, als wäre diese Regel für die moderne Wirtschaft ein Verlust. Dennoch sind islamische Banken in muslimischen Ländern tätig und dringen allmählich auch nach Russland vor. 

„Islamisches Banking ist de facto ein partizipatives, handels- oder projektbezogenes Finanzierungsmodell. Früher haben Menschen Karawanenführern Geld ohne Zinsen gegeben. Die Karawanenführer kauften damit Kamele und Waren, verkauften die Waren mit Gewinn und teilten diesen Gewinn mit den Geldgebern, die ihm Geld gegeben hatten”, erklärte ein Vermögensverwalter im Gespräch mit dem russischen Wirtschaftsmagazin Experte.

Fünf wichtige Begriffe des islamischen Bankwesens: 

Murabaha – eine Bank stellt einem Investor Mittel zur Verfügung, der das Geschäft dann selbst verwaltet. Anschließend wird die erzielte Gewinnmarge zwischen ihnen aufgeteilt. 

Mudaraba – eine Bank stellt einem Investor Geld zur Verfügung, der das Geschäft dann verwaltet. Anschließend wird die Gewinnbeteiligung zwischen ihnen aufgeteilt. 

Muscharaka – gemeinsame Finanzierung eines Projekts, bei der Bank und Kunde Risiko und Gewinn entsprechend ihrer Kapitalbeteiligung teilen. 

Ijara – eine Bank kauft einen Vermögenswert und vermietet ihn an einen Kunden. 

Sukuk – ein islamisches Finanzzertifikat, das einen Eigentumsanteil an einem bestimmten Vermögenswert oder Projekt widerspiegelt. 

„Im islamischen Finanzwesen wird jeder Rubel oder Dollar des Finanzinstituts in den realen Sektor investiert. Bei klassischen Banken sind es dagegen 80 Prozent virtuelle Vermögenswerte”, sagte ein kasachischer Ökonom auf dem Ende Mai 2025 abgehaltenen Kaukasischen Investitionsforum (KIF).  

Mit dieser Ansicht ist jedoch nur schwer zu argumentieren. In den Bilanzen von Banken macht der größte Teil in der Regel Forderungen aus gewährten Krediten aus, die wiederum zur Deckung des Bedarfs der Menschen oder zur Entwicklung von Projekten verwendet werden. Banken halten auch Anleihen und Aktien. Doch auch diese sind letztlich Mittel, die dem realen Sektor zur Verfügung gestellt werden, wenn auch nach den Prinzipien der säkularen Gesellschaft, während Aktien überhaupt die Eigentümerschaft an einem bestimmten Unternehmen widerspiegeln. 

In seiner heutigen Form entstand der islamische Bankenbetrieb in den 1960er Jahren. Im Jahr 1963 begann die Islamische Sparkasse in Ägypten nach den von Theoretikern des Islam entwickelten Regeln zu arbeiten. Dieser Ansatz verbreitete sich schnell in Malaysia und Pakistan. 1975 gründeten die Saudis mit dem Islamischen Entwicklungsbank das erste internationale und wohl auch größte Finanzinstitut, das nach den Prinzipien der Scharia arbeitet.  

Am 1. September 2023 begann in Baschkortostan (4,1 Millionen Einwohner), Dagestan (3,2 Millionen), Tatarstan (4 Millionen) und Tschetschenien (1,5 Millionen) ein Experiment zur Einführung des sogenannten Partnerfinanzierungsmodells, dessen Prinzipien den Normen des islamischen Bankwesens folgen. Der Projektabschluss ist für September 2025 geplant. Der Vorsitzende des Finanzausschusses der Staatsduma kündigte jedoch auf dem Forum „Russland – Islamische Welt” Mitte Mai an, dass der Versuch noch um fünf Jahre verlängert werden soll. Die Teilnehmer des KIF sprachen von einer Verlängerung um drei Jahre.

Die Ziele dieses Experiments sind vielseitig. „Der islamische Bankenbetrieb ist für uns eine Möglichkeit, Investitionen in die russische Wirtschaft zu locken”, so ein Verteter aus dem Duma-Ausschuss für Wirtschaftspolitik, auf dem KIF. 

„Für Investoren aus islamischen Ländern, von denen wir wissen, dass sie über Kapital verfügen, ist die Verfügbarkeit von Scharia-konformen Instrumenten oft eine Voraussetzung für die Anlage von Geldern. Außerdem nutzen in Russland Schätzungen zufolge mehrere Millionen Muslime keine Bankdienstleistungen, da der Islam dies verbietet. Die Eröffnung von Instrumenten des islamischen Bankwesens könnte sie in den offiziellen Bankensektor bringen und sie aus der Schattenwirtschaft holen. Wie das funktioniert, muss sich zeigen”, sagte der geschäftsführende Direktor des Instituts für Wirtschaftswachstum.  

Derzeit wird das Volumen dieses Segments des russischen Finanzmarkts auf 4 Milliarden Rubel geschätzt. „Wir haben mittelfristige Schätzungen vorgenommen und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir im Rahmen der Instrumente der partnerschaftlichen Finanzierung ein Volumen von einer Billion Rubel (derzeit knapp 11 Milliarden Euro) erreichen können”, sagte der stellvertretende russische Finanzminister auf dem Forum in Kazan. Er wies auch darauf hin, dass die Kunden von islamischen Produkten nicht nur Muslime sind: „Für uns war es eine Offenbarung, dass viele das Partnerfinanzierungsmodell als Qualitätsmerkmal, als Gütesiegel für ethische Standards betrachten.“ Laut dem Russischen Zentrums für islamische Wirtschaft und Finanzen sind 60 Prozent der Investoren islamischer Fonds Menschen, die dem Islam fernstehen. 

Die ersten Versuche, auf dem russischen Finanzmarkt nach den Regeln der Scharia zu arbeiten, wurden in der Mitte der 2000er Jahre von mehreren Banken unternommen, die sogar versuchten, mit internationalen islamischen Institutionen zusammenzuarbeiten. Doch all das endete mit dem Entzug der Lizenzen bei den inländischen Kreditinstituten. Von den Pionieren der Halal-Finanzen ist nur die Investmentgesellschaft Mir Investicij übriggeblieben.  

Ein von ihr im Jahr 2007 gegründeter Investmentfonds Halal stellte seine Tätigkeit jedoch Ende 2014 ein. Ein wichtiges Ereignis in dieser Hinsicht war der Start des MOEX-Islamic-Investment-Index durch die Moskauer Börse im Oktober 2021. Die Auswahl der Emittenten hierfür wurde vom Scharia-Beirat der Sberinvest Middle East aus den Vereinigten Arabischen Emiraten durchgeführt. Derzeit haben die gewöhnlichen Aktien von Tatneft (10,4 Prozent), Yandex (9,9 Prozent) und Lukoil (9,7 Prozent) den größten Anteil an diesem Index. In seinem Portfolio sind weder Bankaktien enthalten, die sich mit dem für Muslime unakzeptablen „Zinsgeschäft” befassen, noch Aktien von Handelsunternehmen, die Alkohol und Schweinefleisch verkaufen. 

Mitte November 2021 gründete die Fondsgesellschaft Perwaja den börsengehandelten Fonds Halal Investments auf diesen Index. Derzeit wird das Nettoinventarwert dieses BPI-Fonds auf 360 Millionen Rubel geschätzt. Eine vergleichsweise geringe Summe – ein anderer Fonds kommt auf 275 Milliarden Rubel. 

Islamische Investitionen sind seit Beginn des staatlichen Experiments auf dem Vormarsch. „Einige große russische Kreditinstitute, die am Experiment teilnehmen, haben eine Reihe von Produkten für das Partner-Finanzierungsmodell entwickelt und separate Büros eröffnet, die solche Dienstleistungen anbieten. „Bislang sind die von ihnen angebotenen Produkte jedoch nur für Privatpersonen sowie kleine und mittlere Unternehmen vorgesehen”, informierte ein Vorstandsmitglied der VEB. 

Der größte Akteur auf dem Retail-Bankensektor ist erwartungsgemäß die Bank Sber, die Konten und Karten anbietet, auf denen keine Zinsen gutgeschrieben werden – das ist für die Bank vorteilhaft, da sie das Geld kostenlos erhält. Auch eine Hypothekenmodell nach den Regeln der Scharia wird angeboten: „Die Bank kauft eine Wohnung und verkauft sie dem Kunden dann in Raten, aber zu einem höheren Preis. Es ist auch ein gemeinsames Immobilienerwerb möglich, bei dem der Kunde einen Teil des Objekts nach dem Prinzip des Leasings erwirbt“, erklärte der Direktor des Instituts für Wirtschaftswachstum. 

Auch die T-Bank ist auf dem Markt des Partnerfinanzierungswesens tätig und bietet neben Halal-Karten seit Mitte Mai ein spezielles Brokerage-Konto an. Über dieses können nur Aktien gekauft werden, die zuvor einem Screening auf Übereinstimmung mit den Prinzipien des islamischen Rechts unterzogen wurden. Instrumente, die den islamischen Normen nicht entsprechen, beispielsweise Optionen, Futures, Anleihen und Vorzugsaktien, sind nicht zum Kauf verfügbar. 

Bei den ersten islamischen Wertpapieren handelte es sich um digitale Finanzanlagen (DFAs) des in Tatarstan ansässigen IT-Unternehmens Universal Blockchain, die im Mai 2024 platziert wurden. Das Emissionsvolumen war jedoch mit 1 Million Rubel lächerlich gering. Dann gab es noch mehrere solcher Emissionen, die alle winzig waren. DFAs sind für das islamische Finanzwesen gut geeignet. Im Gegensatz zu Anleihen enthalten sie nicht unbedingt eine klassische Schuldverpflichtung mit Zinsen, sondern können eine Geldforderung verbriefen, deren Zahlungen von den Finanzergebnissen des Investitionsempfängers abhängen. 

Vielleicht wird sich die Situation bald ändern. Die Bank VEB erwägt die Möglichkeit, Sukuk-Anleihen nach den Normen der islamischen Partnerschaftsfinanzierung zu emittieren. „Wir hoffen, die Voraussetzungen für die Schaffung eines neuen Segments zu schaffen und ausländische Investoren aus befreundeten Ländern, für die das Format der Partnerschaftsfinanzierung von grundlegender Bedeutung ist, auf den russischen Markt zu bringen.” „Die VEB hat eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit mit der Sonderwirtschaftszone Alabuga in Tatarstan abgeschlossen. Das Pilotprojekt umfasst den Bau eines modernen Produktionskomplexes im Bereich ‚Fortschrittliche Materialien und Technologien‘. In der ersten Phase geht es um die Emission eines vergleichsweisen kleinen Volumens für die VEB – etwa 5 Milliarden Rubel“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der Entwicklungsgesellschaft. 

Derzeit wird das gesamte Volumen der islamischen Finanzindustrie auf maximal 5 Billionen US-Dollar geschätzt. Zum Vergleich: Die größte Investmentgesellschaft der Welt, BlackRock, verwaltet Vermögenswerte im Wert von 11,5 Billionen US-Dollar.

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