Nordstream 2 als Keil zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland

Vor dem Besuch des Weißen Hauses im vergangenen Frühjahr vereinbarten die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Berater, mit US-Präsident Donald Trump nicht über den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 zu sprechen. Aber sobald Merkel am Schreibtisch des Präsidenten im Oval Office Platz nahm, sagte er ihr: „Angela, höre auf Gas von Putin zu kaufen!“ So schildert es das Wall Street Journal unter Berufung auf Quellen, die bei dem Treffen anwesend waren, in einem Artikel über die Meinungsverschiedenheiten zwischen Deutschland, den USA und einigen Ländern der Europäischen Union sowie der Ukraine.

Der Bau der Pipeline geht weiter, obwohl das Weiße Haus damit gedroht hat, Sanktionen gegen das Projekt zu verhängen, die die beteiligten westlichen Unternehmen dazu zwingen könnten, sich aus dem Projekt zurückzuziehen. Washington und einige europäische Regierungen, insbesondere in Osteuropa, glauben, dass die Pipeline die Abhängigkeit der Europäischen Union von Russland erhöhen wird. Als Wortführer tritt insbesondere Richard Grenell auf, US-Botschafter in Deutschland und Intimus von Trump. Nach Angaben eines Geheimdienstmitarbeiters, der Trump in der Angelegenheit Nord Stream 2 beraten hat, hält der Präsident den Bau der Pipeline Erdgasleitung für unvereinbar mit der militärischen Unterstützung der USA für Europa. „Wenn sie wollen, dass wir sie vor dem Biest schützen, warum füttern sie es dann?“, wundert sich Trump dem Beamten zufolge.

Das WSJ vermisst bei Merkel eine klare Linie. Sie hat wiederholt argumentiert, dass Nordstream 2 die Energiesicherheit von Deutschland und Europa stärken wird. Ein Argument, das nicht von allen in Europa geteilt wird. Maroš Šefčovič, Vizepräsident der Europäischen Kommission, hält die Verdoppelung der Kapazität der ersten Röhre für wirtschaftlich nicht sinnvoll. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar kommentierte Merkel den Streit, ob alles Gas aus Russland durch die Ukraine fließen müsse, im Stil einer in Physik ausgebildeten Wissenschaftlerin. „Das Molekül des russischen Gases bleibt ein Molekül des russischen Gases, unabhängig davon, ob es durch die Ukraine oder über den Ostseeboden strömt.“

Ein ehemaliger Berater von Ex-Präsident Barack Obama erzählte dem WSJ, Merkels Äußerungen hätten sich im Laufe ihrer Kanzlerschaft mehrfach geändert. Von der Stärkung der Koalitionsregierung in Berlin bis zu den wirtschaftlichen Interessen deutscher Unternehmen. „Jedes Mal, wenn Obama sie direkt fragte, gab sie je nach Tageszeit verschiedene Antworten“, so der Berater gegenüber WSJ. Merkel geht davon aus, dass der Bau von Nord Stream 2 im langfristigen Interesse Deutschlands liegt, da das Land vom Gas sehr abhängig ist, so ein Berater der Kanzlerin gegenüber der Zeitung. Nach dem Unfall im Kernkraftwerk Fukushima in Japan im Jahr 2011 beschloss Deutschland, den Ausstieg aus der Kernenergie zu beschleunigen. Die Regierung Merkel schaltete zügig sieben der ältesten Reaktoren ab und kündigte an, bis zum Jahr 2022 alle 17 Kernkraftwerke, die zu dieser Zeit in Betrieb waren, stillzulegen. Zusätzlich will Berlin bis 2038 Kohlekraftwerke abschaffen. „Wir wollen bis 2038 ohne Kohle auskommen. Wir brauchen mehr Gas“, so Merkel im Februar in Japan. Deutschland ist der weltweit größte Importeur von Erdgas. Die hochentwickelte Industrie kann nicht nur mit Energie aus erneuerbaren Quellen versorgt werden.

Am 21. Februar soll US-Präsident Donald Trump dem österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz bei einem Treffen im Weißen Haus mitgeteilt haben, dass Washington Sanktionen gegen Nord Stream 2 verhängen würde, wenn Deutschland das Projekt weiterhin unterstützt, steilte ein bei dem Treffen Anwesender dem WSJ mit. Nach dem Treffen sagte Kurz, er unterstütze das Projekt. Österreich habe „klar zum Ausdruck gebracht“, dass es eine auf sichere Versorgung mit Gas angewiesen ist.

Die EU erwog als Konsequenz aus den Unstimmigkeiten ein Gesetz zu erlassen, dass ihr, und nicht einzelnen Ländern, die Überwachung der Pipeline übertragen würde. Die französische Präsidentin Emmanuelle Macron ist diesem Vorschlag nicht ungesonnen. Seine Realisierung würde dazu führen, dass Deutschland die Kontrolle über die Pipeline verliert, sagten französische Quellen dem WSJ. Laut Berichten aus mehreren Ländern begann Merkel daraufhin, europäische Staats- und Regierungschefs anzurufen, die das Projekt kritisieren. Der rumänische Premierminister soll sich bei US-Energieminister Rick Perry über großen Druck beschwert haben. Ein Sprecher von Merkel bestätigte den Aufruf, lehnte es jedoch ab, über den Inhalt zu sprechen.

Unter diesen Bedingungen einigten sich Deutschland und Frankreich darauf, Änderungen der europäischen Gasrichtlinie zu genehmigen. Infolgedessen sind die Europäische Kommission, der Ausschuss der Vertreter der ständigen Mitglieder der EU, das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union in den Konflikt um Nord Stream 2 einbezogen.

Bei der Ausdehnung der Gasrichtlinie fällt die Überwachung neuer Gaspipelines in die Zuständigkeit des Landes, durch das die Pipeline in das Gebiet der EU Union gelangt. Daher wird Nord Stream 2 von Deutschland kontrolliert.

Im direkten Gespräch sagte Trump im Oval Office zu Merkel, Deutschland solle amerikanisches LNG kaufen. In Europa gilt das als „nicht wettbewerbsfähig“. Nach Angaben der deutschen Regierung ist russisches Pipeline-Gas derzeit etwa 20 Prozent günstiger als amerikanisches LNG. Trotzdem entschied sich Berlin im Herbst 2018 für die Finanzierung des ersten 500 Millionen Euro teuren LNG-Terminals in Niedersachsen. Im Gespräch mit den örtlichen Abgeordneten präsentierte Merkel ihre Entscheidung nicht als Zugeständnis an Trump, sondern als strategischen Schritt, der auf lange Sicht nützlich sein könnte. Das WSJ schreibt, Deutschland hoffe mit dieser Entscheidung auf eine Schwächung der Position Washingtons bei Verhandlungen über Nord Stream 2.

Amerikanische Beamte verhehlten nicht ihren Wunsch, dass Europa vermehrt amerikanisches Gas kauft. Das sei aber bei der Ablehnung Washingtons gegen Nord Stream 2 sekundär. Primär hätten die USA Angst, Russland, das sich in den letzten Jahren zunehmend militant verhalten hat, werde seinen Einfluss auf Europa vergrößern.

[hub/russland.NEWS]

Kommentare