Kudrin: „Diese Maßnahmen können die Wirtschaft nicht anheizen“

Kudrin: „Diese Maßnahmen können die Wirtschaft nicht anheizen“

Schritte zur Bekämpfung der Armut allein können das geplante Wirtschaftswachstum in Russland nicht gewährleisten, mahnte Alexei Kudrin, Vorsitzender des russischen Rechnungshofes, in einem Interview mit RBK.  Für das Wachstum der Wirtschaft müssen Maßnahmen ergriffen werden, die günstige Bedingungen für die allgemeine Geschäftswelt schaffen.

„Nein, diese Maßnahmen können die Wirtschaft nicht anheizen … Leider wird es für die Wirtschaft nicht so bedeutsam sein, wenn das BIP-Wachstum von 1,1 bis 1,3 Prozent in diesem Jahr auf 3,1 Prozent im Jahr 2021 springt, wie es die Regierung plant“, so Kudrin. Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen seien notwendig. Beschränkungen abzubauen sowie Bürokratie und Strafverfolgungsdruck zu beseitigen, zählt Kudrin zu den obligatorischen Aufgaben der neuen Regierung, die sie umgehend regeln sollte. „Das ist heute die größte Herausforderung.“

„Es ist ziemlich schwierig, der Meinung von Alexei Kudrin zu widersprechen, weil er im Allgemeinen Recht hat. denn er hat im Allgemeinen Recht. In der gegenwärtigen Situation versteht jeder sehr gut, dass die Maßnahmen, über die wir sprechen, nur ein Teil der riesigen Arbeit sind, die noch getan werden muss. Mit dem Versuch, den sogenannten armen Bevölkerungsschichten Geld zu geben, ist es unmöglich, die äußerst problematische Gesamtsituation unseres Staates grundlegend zu lösen“, meint Roman Blinow, Leiter der analytischen Abteilung im International Financial Center.

Nach Ansicht des Analytikers braucht es „ein sehr großes Volumen systematischer Maßnahmen“, deren Zweck er als „neuer qualitativer Sprung nach vorne“ definiert. Mit Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut komme man nicht weiter. In Russland seien substanzielle und präzise Strukturreformen längst überfällig. In den letzten zehn Jahren wurde viel über sie gesprochen, aber real finden sie nicht statt.

Der qualitativer Durchbruch in der russischen Wirtschaft des Landes sollte Blinow zufolge im Bereich der Wirtschaftsreformen auf verschiedenen Ebenen eine Grundlage für die Vermehrung des Privateigentums in der Bevölkerung und den Unternehmen schaffen. Fast den gesamten Staat zu reformieren, erfordere eine titanische Arbeit, die die herrschende politische Elite unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht leisten kann. Leider müsse man nach den Ergebnissen von 30 Jahren sogenannter Marktwirtschaft feststellen, dass wir nie die Voraussetzungen für ein normales Wirtschaftswachstum und eine normale Entwicklung bilden konnten. Aus der Marktwirtschaft erhält Russland nicht einmal in vollem Umfang Steuergelder.

Im Lande geschehe alles nicht aufgrund der Entstehung und Synergie der gegenwärtigen Verhältnisse, sondern auf Anweisung und direkte Intervention von oben, so der Experte. Solange wir nicht lernen, wie man etwas wirklich tut, und die Regierung nicht die Voraussetzungen für diese Arbeit schafft, indem sie einen Teil ihrer Befugnisse tatsächlich an die Gesellschaft delegiert, werde sich Russland wirtschaftlich nicht verändern.

Im Bereich der Steuererhebung und -eintreibung hat sich viel verbessert, aber zunächst muss die Grundlage für die tatsächliche Steigerung bei der Zahl der wirtschaftlich aktiven Steuerzahler geschaffen werden, um der der wirtschaftlichen Realität des Landes ein neues Gesicht zu geben. Blinow hält die aktuelle Politik für verschnörkelt – sie ignoriert die wirklichen Wege zur Lösung des Problems.

Der Schlüsselfaktor in der Entwicklung der Wirtschaft ist die Nachfrage der Verbraucher. Damit diese gesundet, bedarf eines Wachstums der Einkommen zwischen 4 und 5 Prozent pro Jahr, erinnert Pawel Sigal, Vizepräsident von Opora Rossii (Unterstützung von Russland). Investitionen in das Humankapital (Bildung, Forschung und Entwicklung, Medizin) sind erforderlich, aber bisher wurden diese Haushaltsbereiche jährlich gekürzt. Der zweite Faktor ist die Verfügbarkeit von Fremdmitteln für die Bevölkerung und die Wirtschaft. Die Lockerung der Geldpolitik, so der Experte, hat dazu beigetragen, aber das mangelnde Einkommenswachstum der Bevölkerung hemmt das Kreditwachstum. Die Verbilligung von Unternehmenskrediten wurde nicht zu einer Maßnahme für einen wirtschaftlichen Aufschwung: Aufgrund der gestiegenen Steuerbelastung sind Unternehmen mit höheren Kosten konfrontiert, und ein Rückgang der Verbrauchernachfrage verringert das Wachstum im Handel.

„Daher“, so Sigal, „kann man Alexei Kudrin schwerlich widersprechen: Die vorgeschlagenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Armut sind punktuell und vorübergehend. Es sind Maßnahmen erforderlich, die den allgemeinen Wohlstand der Bevölkerung erhöhen und Arbeitsplätze schaffen.  Gleichzeitig ist die russische Wirtschaft in den letzten 10 Jahren um elf Prozent geschrumpft. Für Unternehmer und die Bevölkerung müsse man durch eine verringerte Steuerbelastung und die Vereinfachung der Genehmigungsverfahren Bedingungen schaffen, unter denen man ohne Angst Geschäfte machen kann. Nun ist jedoch der umgekehrte Trend zu beobachten, der zu einem Rückgang der Geschäftstätigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen geführt hat. Und dieser Trend wird zunehmen“, glaubt er.

Ohne strukturelle und globale Reformen in der Wirtschaft werden die vorgeschlagenen Maßnahmen nicht die erwartete Wirkung zeigen, so der Analyst. Das BIP-Wachstum nur aufgrund der Exporte, also ohne Wachstum der inländischen Verbrauchernachfrage, wird minimal sein, zumal auch die Nachfrage auf den Auslandsmärkten rückläufig ist.

[hrsg/russland.NEWS-expert.ru]

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