Konjunkturprognose: Osteuropa steht das Schlimmste noch bevor

Konjunkturprognose: Osteuropa steht das Schlimmste noch bevor

Wien (ots)

Wachstumseinbruch 2023; Ukraine in tiefer Rezession (2022: -33%); Russland resilienter als erwartet (2022: -3,5%), aber längerer Abschwung; Energiekrise trifft Visegrád-Staaten

Der Ukraine-Krieg hat sich auf die Volkswirtschaften der 23 Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas (CESEE) bisher nicht so negativ ausgewirkt, wie zunächst angenommen. In den kommenden Monaten wird sich das aber ändern. Das zeigt die neue Herbstprognose des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). Ein über den Erwartungen liegendes Wachstum in vielen Ländern der Region in der ersten Jahreshälfte aufgrund der Erholung nach der Pandemie führt zu einer Aufwärtsrevision der Prognose für 2022.

Für das Gesamtjahr prognostiziert das wiiw für die EU-Mitgliedsstaaten der Region ein Wachstum von 3,9%, für die Westbalkanstaaten von 3,1% und für die Türkei von 5,1%. In allen Fällen ist das deutlich weniger als 2021, zeugt aber dennoch von einem beeindruckenden Maß an Widerstandsfähigkeit gegenüber einem schweren externen Schock. Im Gegensatz dazu wird die russische Wirtschaft heuer um 3,5% schrumpfen. Diese Rezession wird jedoch wesentlich milder ausfallen als noch im Sommer prognostiziert (-7%).

Schwieriger Winter und schwache Aussichten für 2023

Ganz anders sieht es für 2023 aus. Der ökonomische Schock durch den Krieg schlägt im dritten Quartal 2022 bereits voll durch. „Die aus dem Ruder laufende Inflation unterminiert die Realeinkommen und damit den privaten Konsum als bisher wichtigste Stütze des Wachstums. Dazu kommen die immer bedrohlichere Energiekrise, eine schwächelnde deutsche Wirtschaft, Leitzinserhöhungen und zu wenig fiskalische Unterstützung seitens der Regierungen. Das Schlimmste steht Osteuropa also noch bevor“, sagt Branimir Jovanovic, Ökonom am Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleich (wiiw) und Hauptautor der Herbstprognose.

Ukraine in tiefer Rezession, aber Wachstum für nächstes Jahr erwartet

Die ukrainische Wirtschaft befindet sich aufgrund der enormen Schäden und Kosten durch den Krieg weiterhin in einer schwierigen Lage. Laut ukrainischem Wirtschaftsministerium betrug der BIP-Rückgang im August annualisiert 35%, nach fast 40% im zweiten Quartal. Für heuer rechnet das wiiw mit einem BIP-Einbruch von rund einem Drittel (33%) gegenüber 2021. Das ist eine Revision nach oben um 5 Prozentpunkte gegenüber dem Sommer. 2023 könnte die Ukraine bereits wieder mit 5,5% wachsen. „Es gibt jedoch große Abwärtsrisiken für diese Prognose, vor allem hinsichtlich der Dauer und dem Ausgang des Krieges“, erklärt Olga Pindyuk, Ökonomin und Ukraine-Expertin am wiiw. Viele Unternehmen nehmen ihre Tätigkeit wieder auf. Positiv entwickelt hat sich auch der Export von Getreide über die Schwarzmeerhäfen nach dem lange verhandelten Abkommen mit Russland. „Ebenfalls positiv schlägt der verstärkte Zufluss ausländischer Hilfsgelder zu Buche, vor allem aus den USA. Rund 60% des Budgetdefizits werden damit mittlerweile finanziert“, so Pindyuk. 2023 dürfte sich das Budgetdefizit auf rund 20% des BIP belaufen.

Russland: Teilmobilmachung verschärft Abschwung 2023

Widerstandsfähiger als erwartet zeigte sich bisher Russlands Wirtschaft, zumindest wenn man den immer spärlicher werdenden offiziellen Statistiken Glauben schenken darf. Trotz westlicher Sanktionen sank das BIP in den ersten acht Monaten um schätzungsweise nur 1,5%, die Inflation ging auf unter 14% zurück. Dank der hohen Energiepreise, der Neuausrichtung des Handels auf Asien und der erhöhten Militärausgaben hat sie sich teilweise an die neuen Realitäten angepasst. „Die kürzlich verkündete Teilmobilmachung ist allerdings ein Game-Changer und wird die Krise massiv verschärfen“, zeigt sich Vasily Astrov, Senior Economist und Russland-Experte am wiiw, überzeugt. „Hunderttausende gut ausgebildete Männer werden entweder eingezogen oder haben das Land bereits fluchtartig verlassen. Für die Wirtschaft ist das ein Aderlass mit schwerwiegenden längerfristigen Konsequenzen“, so Astrov. Insgesamt dürfte die russische Wirtschaft 2022 mit -3,5% nur halb so stark schrumpfen, wie noch im Sommer prognostiziert (-7%), bleibt aber mit -3% auch 2023 in der Rezession. Im nächsten Jahr werden sich zudem die Folgen des EU-Ölembargos, die Ausfälle beim Gas-Export nach Europa sowie das westliche Hochtechnologie-Embargo verstärkt bemerkbar machen. „Ökonomisch betrachtet wirken die Sanktionen also, wenn auch langsamer, als das viele erwartet haben“, sagt Astrov.

Energiekrise verdüstert Aussichten

In den meisten der 23 beobachteten Länder der Region wird die Inflation 2022 zweistellig sein. Das gilt auch für die EU-Mitglieder, wo sie im Schnitt rund 13% betragen wird und sich 2023 auf etwa 8% abflachen sollte. Hauptgrund dafür sind neben den hohen Preisen für Lebensmittel die explodierenden Energiepreise in Folge der Energiekrise. „Sollte Gas im Winter mancherorts rationiert werden müssen, könnten einzelne Länder in eine Rezession schlittern“, sagt Branimir Jovanovic. Viele Länder der Region hätten wohl ersthafte Probleme, bei einem kalten Winter ihren Erdgasbedarf mit den eingespeicherten Mengen zu decken. Für den Fall, dass Deutschland in eine Rezession schlittert und große Industriebetriebe wegen Energieengpässen stillstehen, würden Tschechien, Ungarn, die Slowakei und Polen durch ihre enge wirtschaftliche Verflechtung mit der Bundesrepublik zudem besonders leiden.

Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw)

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