Konstantin Wassiljewitsch, meine erste Frage wird nicht originell sein. Wird Nord Stream 2 fertiggestellt werden oder nicht? In den russischen Medien liest man entweder, dass das Projekt morgen fertiggestellt wird oder, dass es nie abgeschlossen wird. Die USA versprechen ein neues Paket von Sanktionen zu verabschieden, das das „Herz“ des Projekts treffen wird.
Lassen Sie uns versuchen, klar zu sein. Eigentlich müsste alles vom Konsortium selbst erklärt werden. Aber egal, was sie sagen, alles wendet sich sofort gegen sie, deshalb haben sie das ganze Jahr über geschwiegen. Und das zu Recht. Hätten sie im Detail erzählt, was mit dem Rohrverlegungsschiff Akademik Chersky oder dem Rohrverlegungskahn Fortuna passiert, wären Sanktionen gegen alle verhängt worden, bis hin zu den Matrosen. Deshalb wechselt Fortuna auch immer wieder den Besitzer. Wir haben es also mit einer recht abgeschirmten Geschichte zu tun; es gibt keine offizielle Stellungnahme. Also, was können wir feststellen. Die für die Verlegung von Rohren zuständige Schweizer Firma Allseas, einer der Hauptauftragnehmer von Nord Stream-2, ist unter der Androhung neuer Sanktionen buchstäblich aus dem Projekt geflohen. Die Frage lautet also: Ist es notwendig, einen Plan B zu haben, wenn man bereits einen Auftragnehmer hat? Hätte Gazprom einen Ersatz-Pipelinespezialisten gekauft, würden alle schreien, dass riesige öffentliche Gelder umsonst ausgegeben wurden.
Deshalb ist die Bereitschaft von Akademik Chersky ein Geheimnis von Gazprom. In Bezug auf die technische Aufgabe ist das Schiff meiner Meinung nach bereit. Es war genug Zeit, um das Upgrade durchzuführen. Aber es ist ein großes politisches Spiel im Gange. Die USA drohen mit Sanktionen und Gazprom setzt diesen Sanktionen die Unternehmen aus, die genau wissen, was sie tun. Ich habe den Text über die neuesten Sanktionen sorgfältig gelesen. Dort taucht eine interessante Änderung auf: Bei der Verhängung neuer Sanktionen muss der US-Außenminister die EU-Länder konsultieren. Es gibt also keinen Grund, jetzt etwas zu überstürzen. Erstens gibt es Stürme auf der Ostsee. Und zweitens müssen wir den Amtsantritt des neuen amerikanischen Präsidenten abwarten. Biden verspricht, den Dialog mit der EU wieder aufzunehmen.
Denken Sie, die EU sollte sich mit einer Stimme für Nord Stream 2 einsetzen, oder reicht hier die deutsche Position?
Deutschland wird sowohl aus der Kohle als auch aus der Kernenergie aussteigen. Es geht also nicht ohne Gas und deshalb wird die Nachfrage danach steigen. Die Energiekosten sind schon jetzt in Deutschland im EU-Vergleich am teuersten und untergraben die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen. Es ist daher ein wirtschaftlich sehr wichtiges Projekt für Deutschland. Dieses Problem kann jedoch nicht ohne Brüssel gelöst werden. Es ist also auch eine Frage der politischen Souveränität Deutschlands.
Aber es gibt auch eine andere Meinung: Braucht Europa wirklich so viel Gas? Die Nachfrage nach diesem Brennstoff sinkt, und die Konkurrenz wächst.
Man muss verstehen, dass Nord Stream 2 in erster Linie ein Projekt ist, um die Ukraine als Transitland zu ersetzen, und nicht ein Projekt, um zusätzliche Gasmengen nach Europa zu liefern. Die Ukraine sollte eine Backup-Kapazität werden. Viele sehen diese Pipeline als politische Rache an der Ukraine. Aber es geht nicht darum, die Ukraine zu bestrafen; es geht darum, die Produktionskosten zu senken. Das wichtigste wirtschaftliche Argument für Nord Stream 2 ist, dass die Ressourcenbasis das Gasvorkommen auf der Halbinsel Jamal ist. Die Entfernung zu Deutschland ist 900 km näher, es ist eine Ersparnis von 2.000 km. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Gazprom der Eigentümer der Pipeline sein wird, während das Unternehmen der Ukraine jährlich zwei Milliarden Dollar für den Transit zahlt. Was den Wettbewerb mit LNG betrifft, ist unser Vorteil der Preis. Sie sagen, dass es einige besondere Moleküle im amerikanischen Gas gibt – Moleküle der Freiheit. Aber sie kosten eine Menge Geld. Sind die Deutschen bereit, dafür zu viel zu bezahlen? Wir für unseren Teil sind bereit, um den europäischen Markt zu kämpfen, wir bitten nur darum, einen fairen Wettbewerb führen zu dürfen. Nun zur Nachfrage nach Gas. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Pandemie die Nachfrage nach Gas nicht so stark beeinflusst hat. Lockdown hin oder her, aber Häuser müssen beheizt werden. Ich denke, Kohle wird zuerst ersetzt werden, dann Öl. Gas wird zuletzt sterben.
Doch wenn der schlimmste Fall eintritt und das Projekt nicht fertiggestellt wird, was sind dann die Folgen für Russland?
Um ehrlich zu sein, bezweifle ich stark, dass es nicht abgeschlossen wird. Aber selbst wenn das geschieht, gibt es für uns kein Risiko in Bezug auf die Gaslieferungen, denn das Gas kommt über die Ukraine nach Europa. Russland würde allerdings einen längeren Weg nehmen und Geld verlieren. Außerdem ist dies eher eine Frage des guten Rufs. Unsere Konkurrenten werden diese Situation als Argument nutzen: Wir haben die Russen gestoppt, also lasst uns weitermachen. Wir sprechen aber nur von der Fertigstellung der Pipeline. Dann wird der Kampf um seine Nutzung beginnen.
[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]
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