Dem Richter von zuhause „Hallo“ sagen – in Russland finden Gerichtssitzungen online stattAlexey Fedoryaka - Viktoriya Deniskina

Dem Richter von zuhause „Hallo“ sagen – in Russland finden Gerichtssitzungen online statt

In Russland werden die durch die Coronavirus-Verbreitung verursachten Einschränkungen stufenweise aufgehoben. Die Gerichte sind zur normalen Arbeit in Präsenzform zurückgekehrt, jedoch bestehen die Ferngerichtssitzungen in der Praxis weiter. Wie geht es genau? Juristen erklären.

Derzeit bestehen in Russland zwei Varianten zur Durchführung von Ferngerichtssitzungen: Sitzungen per Videokonferenz und Sitzungen per Webkonferenz (Online-Gerichtssitzungen).

Die erste Variante stellt teilweise die Fernform der Gerichtssitzung dar. Sie existiert in der russischen Gesetzgebung seit über zehn Jahren und wird am häufigsten dann angewendet, wenn die Gerichtssitzung in einer Stadt stattfindet, der Beteiligte jedoch das Gericht an einem anderen Ort besuchen möchte. Mit anderen Worten – es ist für die Partei der Streitigkeit nicht erforderlich, zur Durchführung der Gerichtssitzung in eine andere Region zu fahren.

Zur Teilnahme an einer Gerichtssitzung per Videokonferenz muss ein entsprechender Antrag (Bitte) eingereicht werden. Wenn das Gericht eine technische Möglichkeit hat, die Videokonferenz durchzuführen (ein freier Gerichtssaal, Internetanschluss, zulässige Zeitverschiebung, wenn sich die Gerichte in unterschiedlichen Zeitzonen befinden, usw.), wird der Antrag befriedigt. In diesem Fall kommt der Antragsteller am Tag der Gerichtssitzung nicht zum Gericht, das die Sache verhandelt, sondern zum gewählten Gericht in einer anderen Stadt. Dieses Gericht prüft die Befugnisse der Person, danach kann die Fernteilnahme an der Gerichtssitzung im Saal über einen Bildschirm erfolgen. Der Antragsteller wird auf dem Bildschirm den Richter, der die Sache verhandelt, sowie die anderen Prozessbeteiligten sehen.

Trotz der offensichtlichen Vorteile für die Beteiligten finden Gerichte per Videokonferenz in letzter Zeit kaum Anwendung. So wurden im ersten Halbjahr weniger als zwei Prozent der allgemein verhandelten Sachen bei Arbitragegerichten unter Verwendung der Videokonferenz verhandelt.

Im Zuge der Coronavirus-Pandemie ist ein neues Verfahren der Durchführung von Ferngerichtssitzungen bzw. per Webkonferenz in der russischen Praxis entstanden. Im Rahmen dieses Verfahrens ist die persönliche Anwesenheit bei Gericht nicht erforderlich. Die Gerichtsverhandlung wird vollständig online durchgeführt. Obwohl das Gesetz über Online-Sitzungen noch nicht verabschiedet wurde, führen viele russische Arbitragegerichte Online-Sitzungen tatsächlich durch.

An der Online-Gerichtssitzung können ausschließlich Nutzer mit bestätigten Accounts auf der Webseite für staatliche Dienstleistungen Gosuslugi teilnehmen, die für die Identitätsfeststellung verwendet wird. Zur Teilnahme an der Gerichtssitzung hat die Person, die an der Sache teilnimmt (oder ihr/e Vertreter), einen elektronischen Antrag über den Service Moj arbitr zu senden. Danach wird der Antrag vom Gericht angenommen, und der Antragsteller wird darüber per E-Mail benachrichtigt. Die Eintragung über die Durchführung der Online-Sitzung wird in die Akte im Archiv der Arbitragesachen hinzugefügt. Die Gerichtssitzung beginnt zur vereinbarten Zeit im Reiter „Online-Sitzungen“. Aus technischer Sicht ist die Teilnahme an einer Online-Sitzung nicht kompliziert.

Zu den Vorteilen der Verwendung von Online-Sitzungen bei Gericht zählen:

  • Vereinfachtes Verfahren (im Vergleich zu Videokonferenz), da nur ein Gericht beteiligt ist.
  • Gerichtssitzung wird vollständig online durchgeführt, jeder Teilnehmer kann sich von jedem Ort der Welt auszuschalten.
  • Auf diese Weise können die Gerichte die Rechtspflege auch im Falle der möglichen Einschränkungen bei ihrer Arbeit (wie von März bis Mai 2020 im Zusammenhang mit der Pandemie) reibungslos ausüben.
  • Die Befriedigung des Antrags auf Teilnahme an der Gerichtssitzung per Videokonferenz oder Online-Sitzung ist ein Recht und keine Pflicht des Gerichts.

Webkonferenzen haben allerdings auch Nachteile:

  • Wichtige Rolle des technischen Faktors. Falls die Partei eines Rechtsstreits einen Antrag auf Teilnahme an der Online-Sitzung eingereicht hat, jedoch aus technischen Gründen daran nicht teilnehmen konnte, kann das Gericht die Verhandlung der Sache verschieben und dadurch verzögern.
  • Es ist keine Liste der Grundlagen für die Verweigerung der Durchführung der Online-Sitzung vorgesehen. In diesem Zusammenhang sind die Handlungen des Gerichts schwer vorauszusehen. Dadurch kann es vorkommen, dass Gerichte die Klagen aus unklaren Gründen abweisen.
  • Nicht alle Gerichte unterstützen die Variante der Online-Sitzungen. Obwohl fast 100 Gerichte in Russland die Möglichkeit der Webkonferenzen anbieten gehört das Arbitragegericht der Stadt Moskau, das etwa 16 Prozent aller pro Jahr registrierten Sachen in Russland verhandelt, nicht dazu.
  • Unbestimmter rechtlicher Status der Online-Sitzungen. Die fehlende rechtliche Regelung führt zu einigen rechtlichen Risiken (das Gericht kann das Richtergeheimnis nicht sicherstellen, Risiko der Fälschung der Dokumente, die die Befugnisse bestätigen, usw.).
  • Erforderliche Einreichung aller Dokumente im Voraus. Unter den Bedingungen einer Webkonferenz ist es nicht möglich, im Zuge der Gerichtssitzung zusätzliche Beweise aufzunehmen bzw. einen dringend erstellten Antrag an die andere Partei zu übermitteln.

Somit werden Online-Sitzungen, obwohl nicht rechtlich geregelt, durchgeführt und sind in Russland populär. Die Digitalisierung von Gerichten wird zukünftig zweifellos weiterentwickelt.

Viktoriya Deniskina
Juristin Abteilung Prozessrecht
Rödl & Partner Moskau

Alexey Fedoryaka
Leiter Abteilung Prozessrecht
Rödl & Partner Moskau

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