Budget, Wachstum und Inflation zwischen den Stühlen von Regierung, Zentralbank und Rechnungshof

Budget, Wachstum und Inflation zwischen den Stühlen von Regierung, Zentralbank und Rechnungshof

Die russische Wirtschaft wächst nicht in dem Tempo, das in den Mai-Dekreten von Wladimir Putin angekündigt wurde. Die Frage, wer daran schuld ist, macht die Spitzenbeamten nervös. Als der Chef des russischen Rechnungshofes Alexei Kudrin am Mittwoch im Rahmen des Forums Russia Calling! zusammen mit Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin,  Finanzminister Anton Siluanow und der Zentralbankchefin Elvira Nabiullina  die Gründe für das langsame Wirtschaftswachstum zu klären versuchte, traten am Ende der Diskussion die internen Reibereien zwischen den Ministerien und Behörden zutage.

Die Verantwortung für Durchbrüche in der Wirtschaft schieben sich Regierung und Zentralbank seit längerem gegenseitig in die Schuhe.  Seit dem Sommer beschuldigt Oreschkin die Zentralbank „diverser Sünden“ und fordert die Wiederaufnahme der Anti-Krisen-Kommission unter der Regierung. Die Zentralbank habe sich verkalkuliert und sei damit für das mangelnde Wachstum verantwortlich. Zu den Hauptaufgaben der Kommission zählt Oreschkin „die Koordinierung der staatlichen Politik zur Steuerung der Gesamtnachfrage“ mittels Strukturreformen.

Nabiullina sagte, dass die Zentralbank den Leitzins früher senken würde, wenn sie den tatsächlichen Zeitplan der Ausgaben aus dem Staatshaushalt verstehe. Sie nannte die Verzögerung bei der Ausführung des Haushaltsplans einen der Gründe für die Verlangsamung der Inflation und erinnerte daran, dass etwa ein Viertel der Gesamtnachfrage über den Haushalt realisiert wird und die Pünktlichkeit der Ausgaben für das Wirtschaftswachstum wichtig ist.

Dessen Dynamik kritisierte auch Kudrin. Eine schlechte öffentliche Verwaltung und komplizierte bürokratische Verfahren hätten zur Verzögerung der Haushaltsausgaben beigetragen. Die Nichterfüllung der Haushaltsausgaben im Jahr 2019 wird auf 1 Billion Rubel geschätzt. „Ich sehe darin eine schwache Qualität der öffentlichen Verwaltung. Sehr komplizierte bürokratische Prozesse blockieren Investitionsprojekte“, so Kudrin. Ihm zufolge kann die Regierung mit ihren Verwaltungsverfahren nicht vollständig für die fristgerechte Umsetzung ihrer Ausgaben sorgen.

Siluanow erwiderte es sei wichtig, den Haushalt effizient auszuführen. „Natürlich muss er zu 100 Prozent ausgeführt werden, aber auf welche Weise? Wir müssen uns um die Effizienz kümmern, was sehr zeitintensiv ist. Diese Gelder sind nicht irgendwo verschwunden, sie werden nächstes Jahr für Nachfrage sorgen.“ Die Regierung habe lediglich einen vorsichtigeren Ansatz für die Ausgabe von Haushaltsmitteln gewählt.

Für das dritte Quartal und den Oktober präsentierte Siluanow gute Zahlen https://www.kommersant.ru/doc/4164532 . Mit der jetzigen niedrigen Inflationsrate gebe es einen Anstieg der Realeinkommen der Bevölkerung und damit auch mehr Umsätze für die Unternehmen. Das ist „seit mehreren Jahren in Folge nicht mehr der Fall gewesen“. Die niedrige Inflationsrate sei „geplant“ und sollte nur langsam steigen, da die Einkommen von Bürgern und Unternehmen jetzt steigen. „Wir sehen, dass sich die Dynamik des Wirtschaftswachstums zu beschleunigen beginnt. Dies ist natürlich noch nicht nachhaltig“, so Siluanow.

Wirtschaftsminister Maxim Oreschkin erklärte die monatelange Verschiebung im Ausgabenplan von einer Billion Rubel mit dem Übergang von Vorauszahlungen zu Nachzahlungen. „Dies war ein wichtiger Schritt für das Finanzministerium, da es aufhörte, Geld an die Wirtschaft zu überweisen, bevor ein praktisches Ergebnis zu sehen war.“

Oreschkin ist der Ansicht, dass die russische Wirtschaft aufgrund der schwachen Gesamtnachfrage nur langsam wächst und dies weitgehend von der Politik der Zentralbank abhängt. Eine so niedrige Inflationsrate deutet darauf hin, dass eine gesteigerte Gesamtnachfrage in diesem Jahr nicht zu verzeichnen sein wird. „Und das bedeutet Einnahmeverluste der Bevölkerung, entgangene Gewinne der Unternehmen und geringere Einnahmen für den Haushalt.

Der Minister betonte, dass eine stabile Inflation auf der Ebene der Zielvorgaben zusammen mit Strukturreformen die Hauptfaktoren für das Wachstum der russischen Wirtschaft ist. Wenn die Gesamtnachfrage niedrig ist, werden auch Strukturreformen nicht das Wachstum beschleunigen. Um dieser sicherzustellen, schlug Oreschkin die Rückkehr zum Krisenmanagement während der Krise 2008 bis 2009 vor, und die Anti-Krisen-Regierungskommission für das künftige Wirtschaftswachstum verantwortlich zu machen. Während der Krise vor 10 Jahren traf die Kommission unter dem Vorsitz von Igor Schuwalow Entscheidungen darüber, wie Dutzende von Unternehmen gerettet werden sollten, die am Rande des Bankrotts standen – mit Milliarden Rubeln an Staatsgarantien.

Experten zufolge gibt es in naher Zukunft keine offensichtlichen Gründe für eine Verbesserung der Binnennachfrage, und ihre weitere Entwicklung hängt nach wie vor von der Dynamik der Haushaltsausgaben ab. Und selbst wenn die Zentralbank als auch die Regierung gemeinsam arbeiten würden, bleibt es fraglich, ob sie die Nachfrage ankurbeln könnten. Denn Ökonomen glauben, der Hauptgrund, warum die Bürger kein Geld ausgeben und die Unternehmen nicht investieren, ist die Unvorhersehbarkeit der Bedingungen.

Es bleibt zu hoffen, dass, wenn ein Gewinner in diesem Streit um Haushaltsausgaben, Inflation, Geldpolitik und Reformen ermittelt wird, dessen Rezepte die gewünschten Anreize für die Wirtschaft liefern können.

[hrsg/russland.NEWS]

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