Russlands zivile Flugzeugprojekte stecken in großen Schwierigkeiten

Russlands zivile Flugzeugprojekte stecken in großen Schwierigkeiten

Rostec-Chef Sergej Tschemesow hat angekündigt, dass die Auslieferung des Kurz- und Mittelstreckenpassagierflugzeugs des Typs Irkut MS-21 auf die Jahre 2025 bis 2026 verschoben werde. Auch die Lieferungen der Regionalflugzeuge Suchoi SJ-100 und Il-114-300 seien auf 2026 verschoben worden, teilte die United Aircraft Corporation (UAC, Teil von Rostec) später mit.

Ein Artikel in der russischen Zeitung Kommersant deutet darauf hin, dass die MS-21 vor großen Problemen steht: Das Flugzeug hat ein Übergewicht von 5,75 Tonnen. Die Rede ist vom Leergewicht des Flugzeugs, das zuvor mit 44 Tonnen angegeben worden war. Vor diesem Hintergrund sind alle Argumente über den größeren Rumpfdurchmesser, die komfortablere Bestuhlung und den fortschrittlichen Kohlefaserflügel der MS-21 bedeutungslos. Die Quellen der Zeitung behaupten, dass die Flugreichweite bei maximaler kommerzieller Auslastung auf 2.800 oder sogar 2.000 Kilometer reduziert und damit ein Flug Moskau-Sotschi und zurück ohne Auftanken unmöglich wird. Gleichzeitig kann das Flugzeug, das die Boeing 737 und den Airbus 320 ersetzen soll, nicht einmal die Standardhöhe von 10.000 Metern erreichen.

Die andere Säule der künftigen Flotte, das zweistrahlige Regionalverkehrsflugzeug des russischen Flugzeugherstellers Suchoi Superjet SSJ-New (früher SSJ-100) ist hat Probleme mit ihren Triebwerken: Das einheimische PD-8 bringt noch nicht die nötige Leistung. Die Turboprop-Maschine Il-114 von Iljuschin ist ohne Triebwerke, nachdem der Absturz einer damit ausgerüsteten Il-112 die Frage nach einem Ersatz aufgeworfen hat. Bei der Tu-214, die mit einheimischen Serientriebwerken PS-90A ausgerüstet ist, stellt sich die Frage nach der grundsätzlich veralteten Konstruktion, der Wirtschaftlichkeit des Betriebs und den realen Möglichkeiten einer Serienproduktion in Kasan.

Gemäß der im Jahr 2022 verabschiedeten Strategie für die Entwicklung der Luftfahrtindustrie bis 2030 soll die einheimische Luftfahrtindustrie 1.036 Passagierflugzeuge produzieren. Die Auslieferungen der MS-21 sollten 2024 (6 Stück), 2025 (12 Stück) und 2026 (22 Stück) beginnen. Die ersten SSJ-New sollten bereits 2023 eintreffen, 20 Flugzeuge sollten ab 2024 ausgeliefert werden. Die ersten drei Tu-214 sollten ebenfalls 2023 geliefert werden, sieben weitere 2024 und zehn 2025. Zehn Il-114 sollten bis 2025 geliefert werden.

Die Pläne für 2023 seien komplett durchkreuzt worden, schrieb Sirena letzte Woche: Von den fünf Schmalrumpfflugzeugen (zwei SSJ-New, drei Tu-214) sei kein einziges geliefert worden. Der staatliche Technologiekonzern Rostec widerspricht: Eine Tu-214 in Sonderausführung sei an einen staatlichen Kunden übergeben worden. Für 2026 verspricht der Konzern 30 neue SJ-100 (geplant sind 60 bis zu diesem Jahr). Sie verspricht, die MS-21 schrittweise zu einer „guten operationellen Effizienz“ mit einer Reichweite von 3.000 Kilometern zu bringen.

Die UAC verweist auf objektive Schwierigkeiten – „völlig neue Systeme, die Schaffung neuer Kompetenzen von Grund auf, die Notwendigkeit umfangreicher Tests und die Aufnahme der Serienproduktion unter Zeitdruck“. Das russische Industrie- und Handelsministerium geht weiterhin davon aus, dass das Programm nach einem „Aufholplan“ bis 2030 abgeschlossen werden kann und verweist auf den Rückstand bei den in Produktion befindlichen Flugzeugen – 16 Superjets und 12 MS-21, die „mit russischen Systemen ausgestattet werden, sobald diese verfügbar sind“.

Kommersant-Quellen sehen ein systemisches Problem im Mangel an ausgebildetem Personal, Werkzeugmaschinen, Finanzierung und der Umleitung von Ressourcen in die militärische Produktion. Sirenas Quelle bei Aeroflot fügt die Korruption hinzu und erwartet nicht, dass der Plan für 2030 um mehr als 10 Prozent erfüllt werden kann.

Oleg Pantelejew, Generaldirektor von AviaPort, meint, dass man bei der Beurteilung der Realitätsnähe der Produktionsprognose für 2030 zwei Hauptprobleme berücksichtigen müsse: die Verfügbarkeit von ausgebildetem Personal und einer Flotte von Werkzeugmaschinen sowie die Finanzierung. Heute werden die Fähigkeiten der russischen Industrie vor allem für die Aufgaben des staatlichen Verteidigungsauftrags genutzt. Der Experte geht davon aus, dass das Ende der Strategischen Verteidigungsstreitkräfte einen starken Impuls für die Produktion von Zivilflugzeugen geben wird: „Kapazitäten und vor allem Fachkräfte werden frei. Die bisherigen Zeitpläne basierten auf den Kalkulationen der Flugzeughersteller, die wiederum von den Zusagen der Zulieferer aus der zweiten und dritten Reihe ausgingen. Die Praxis zeigt jedoch, dass selbst die Zulieferer der ersten Ebene nicht immer über Vertragskomponenten für ihre eigenen Systeme verfügen“, so Pantelejew.

Die westlichen Sanktionen begann die zivile Luftfahrtindustrie bereits 2019 zu spüren. Da es immer noch fast unmöglich ist, mit Geld und in einem vernünftigen Zeitrahmen einen Ersatz für komplexe Importe zu schaffen, zeigt sich deutlich, wie die Sanktionen wirken.

Den russischen Fluggesellschaften bleiben nur wenige Möglichkeiten: gebrauchte Flugzeuge im befreundeten Ausland kaufen, Linienflugzeuge aus dem Ausland auf Inlandsflüge verlegen oder ausländischen Gesellschaften erlauben, Inlandsflüge durchzuführen.

[hrsg/russland.NEWS]

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