Russlands Interessen in Afrika: „Die Perspektiven sind gigantisch“Prof. Dr. I. Abramova

Russlands Interessen in Afrika: „Die Perspektiven sind gigantisch“

Russland.NEWS sprach mit der Direktorin des Afrika-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften über die russisch-afrikanischen Beziehungen

Frau Prof. Dr. Abramowa, womit beschäftigt sich Ihr Institut?

Abramowa: Das Afrika-Institut wurde 1959 gegründet, und das war kein Zufall. Das Jahr 1960 wurde von der UNO zum afrikanischen Jahr erklärt. Damals befand sich der ganze Kontinent im Befreiungskampf. Wir sind natürlich ein wissenschaftliches Institut, aber wir analysieren auch den afrikanischen Markt, seine Branchen und Perspektiven für unsere Wirtschaft. Jetzt zum Beispiel haben wir das neue Konzept der Beziehungen zu Afrika für das russische Außenministerium erarbeitet.

Welche Rolle spielte Afrika in der Geopolitik der Sowjetunion?

Abramowa: Die Sowjetunion brauchte natürlich Verbündete in ideologischen Fragen. Jede Hilfe verfolgt nicht nur humanitäre, sondern auch ökonomische Ziele. Der Sowjetstaat konnte es sich leisten, seine Verbündete wirtschaftlich zu unterstützen. Wir lieferten Anlagen, haben Straßen, Krankenhäuser und mehr als hundert große Fabriken in verschiedenen afrikanischen Ländern gebaut. Auch militärisch haben wir Afrika unterstützt. Vor allem nach Nordafrika wurden Waffen geliefert. Die ganze Generalität von Angola hat Russisch gesprochen. Viele junge Afrikaner kamen zum Studium in die Sowjetunion. So hat man hier die künftige Elite der jeweiligen afrikanischen Staaten ausgebildet. Und so kam es, dass die meisten der 54 Länder des Kontinents bei verschiedenen UNO-Resolutionen auf der Seite der Sowjetunion standen. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Sowjetunion in Afrika eine Schlüsselrolle spielte.

Was passierte nach dem Zerfall der Sowjetunion?

Abramowa: Der politische Kurs wurde radikal geändert. Russland als Nachfolgestaat der UdSSR hat Afrika und den arabischen Orient praktisch verlassen und sich nur gen Westen orientiert. Das war ein fataler Fehler. Man hatte wirklich geglaubt, wir könnten unsere Ressourcen verkaufen, dafür Knowhow und Demokratie bekommen und ein Teil von Europa werden. Derzeit haben wir lediglich vier Handelsvertretungen in ganz Afrika.

Ist das moderne Russland an einer Wiederbelebung der guten Beziehungen zu Afrika interessiert?

Abramowa: Die Sowjetunion ist dort positiv in Erinnerungen geblieben. Afrikaner, die unser Institut besuchen – Botschafter, Politiker, Wirtschaftsvertreter – alle haben nur eine Frage: „Wann kehrt Russland endlich nach Afrika zurück?“ Und wir fangen erst jetzt langsam damit an. Der Warenumsatz zwischen Russland und afrikanischen Ländern betrug voriges Jahr 17 Milliarden Dollar (davor lag diese Zahl bei etwa 6 Milliarden Dollar). Aber es ist immer noch sehr wenig.  Im Vergleich: der afrikanisch-chinesische Warenumsatz beträgt ungefähr 200 Milliarden Dollar, mit der Türkei sind es 30 Milliarden. Also dümpeln wir noch hinterher. Aber in zwanzig bis dreissig Jahren wird der afrikanische Kontinent eine Schlüsselrolle in der Geopolitik spielen.

Was spricht dafür?

Abramowa: Afrika ist sagenhaft reich an Bodenschätzen (und es sind bei weitem noch nicht alle Vorkommen entdeckt!). Dabei handelt es sich nicht nur um Öl und Gas, sondern um Stoffe, die man in modernen Technologien und in der Militärindustrie braucht, wie Lithium oder Kobalt. Außerdem hat Afrika ein riesiges Potential an Arbeitskräften. Deswegen findet jetzt ein Kampf um Afrika statt. Im November 2018 hat John Bolton, der Sicherheitsberater von Präsident Trump, das Programm der strategischen Zusammenarbeit mit Afrika bekannt gegeben. Und dort steht schwarz auf weiß: Hauptziel ist, China und Russland auf diesem Kontinent Widerstand zu leisten. Wie ich schon sagte, die Chinesen sind dort sehr aktiv. Allerdings kann man auf dem afrikanischen Markt eine gewisse „Müdigkeit“ vom chinesischen Engagement beobachten. Denn sie benutzen überwiegend ihre eigenen Arbeitskräfte, und bei der hohen Arbeitslosigkeit hier kommt das nicht gut an. Also bei dieser Konkurrenz können die Afrikaner inzwischen auswählen, mit wem sie zusammenarbeiten. Und sie wollen nicht alle Eier in einen Korb legen, wie man im Russischen sagt. In Russland sehen viele afrikanische Staats- und Regierungschefs einen strategischen Partner, der ihre Souveränität verteidigen kann.

Was tut die Russische Föderation, um dieser Rolle gerecht zu werden?

Abramowa: In diesem Herbst wird in Moskau zum ersten Mal ein russisch-afrikanisches Gipfeltreffen stattfinden. Wir haben alle Staatchefs eingeladen und die meisten werden kommen. Das ist ein großes politisches Ereignis. Am zweiten Tag wird ein Businessforum stattfinden. Unsere Industrie ist sehr an Afrika interessiert, und es geht nicht nur um große Konzerne, sondern auch um mittelständische Unternehmen. Unsere Wirtschaft erholt sich und sucht neue Absatzmärkte. In Europa mit seinen Sanktionen haben wir schlechte Karten. Und in Afrika stehen oft noch sowjetische Betriebe und Fabriken, die modernisiert werden können. Erst vor kurzem haben wir mit Ägypten einen Vertrag über den Bau eines Kernkraftwerkes unterzeichnet. Das ist eine strategische Investition: die Ägypter bekamen von uns Kredite, dafür entsteht dort eine russische Wirtschaftszone, und von dort aus können wir andere afrikanische Märkte erreichen. Inzwischen gibt es Direktflüge von Moskau nach Addis Adeba – drei Mal die Woche wird die Hauptstadt von Äthiopien angeflogen. Siebzig Prozent der russischen Exporte nach Afrika bestehen schon jetzt nicht mehr aus Rohstoffen – also genau das, was wir anstreben. Die Perspektiven sind gigantisch.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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