Russland juristisch gesehen: „Ein stabiler Markt für den deutschen Mittelstand“

Russland juristisch gesehen: „Ein stabiler Markt für den deutschen Mittelstand“

Die Rechtsberatungsgesellschaft Rödl & Partner gehört zu den größten deutschen Kanzleien in Russland. Das Unternehmen, das mit 4.700 Mitarbeitern in 51 Ländern vertreten ist, hat in Russland zwei Büros mit 200 Mitarbeitern. russland.NEWS sprach mit dem Chef der Niederlassung in Moskau Dr. Andreas Knaul

Herr Dr. Knaul, Rödl & Partner ist bereits seit 27 Jahren in Russland mit den Büros in Moskau und in St. Petersburg vertreten. Was hat das Unternehmen 1992 dazu bewogen, nach Russland zu gehen?

Dr. Andreas Knaul: Man hat gesehen, es gibt einen neuen großen Markt im Osten, der potenziell sehr profitabel ist. Unsere Kunden sind nach Russland gegangen. Also ist Rödl & Partner mitgegangen, um unseren Mandantenstamm in Russland zu betreuen. Wir waren manchmal sogar einen Schritt im Voraus, um unsere Mandanten dort zu empfangen. Wir sind nicht als reine Anwaltskanzlei nach Russland gekommen. Da für uns Steuerdeklaration zur Beratung dazugehört, boten wir dies als Outsourcing auch von Anfang an im Leistungspaket mit an.

Und heute ist Rödl & Partner…

Dr. Andreas Knaul: Heute können wir ein umfassendes Paket von Dienstleistungen anbieten, von der Registrierung einer Gesellschaft mit allen notwendigen Verträgen bis hin zu den Verträgen mit den Mitarbeitern, Steuerberatung und Steuerdeklaration/Rechnungslegung sowie Wirtschaftsprüfung inklusive. Das heißt, wir können das gesamte rechtliche Umfeld für einen Mandaten konfliktfrei abbilden.

Dabei wenn man als Laie an Rechtsanwälte denkt, fallen einem sofort Konflikte, Gerichte und gegenseitige Forderungen ein…

Dr. Andreas Knaul: Die gerichtlichen Auseinandersetzungen machen nur einen geringen Teil unserer Arbeit aus, wahrscheinlich 10 bis 15 Prozent. Typischerweise kommt ein Mandant aus Deutschland zu uns, der Geschäftschancen in Russland sieht und fragt, wie wir ihn mit rechtlichen, steuerlichen Leistungen oder mit Outsourcing der Business Prozesse unterstützen können.

Eine ziemlich große Bandbreite.

Dr. Andreas Knaul: In der Rechts- und Steuerberatung sind wir in spezialisierten Teams tätig. Die Steuerberatung hat zum Beispiel Fachleute für Transferpreise, für Umsatz- Gewinn- oder Einkommensteuer. Die Rechtsberatung gliedert sich in Gesellschaftsrecht und allgemeines Zivilrecht, Arbeitsrecht, Baurecht, Umweltschutz und geistiges Eigentum, um nur die wichtigsten Bereiche zu benennen. Wir beraten regelmäßig auch bei großen Projekten wie Joint Ventures, Unternehmenskäufen und Due Diligence. Es gibt natürlich auch Kollegen, die vor Gericht gehen.

Auch Compliance Beratung bieten Sie an.

Dr. Andreas Knaul: Ja, das Thema ist in Russland etwa vor fünf Jahren angekommen und ist jetzt auch für den Mittelstand hier wichtig. Compliance Beratung bei uns ist wie ein Paket, aus dem man verschiedene Teile aussuchen kann. Normalerweise fangen wir mit einer Überprüfung an, wie weit man mit der Compliance im Unternehmen ist. Da kann man Verbesserungsvorschläge machen, Compliance-Richtlinien erarbeiten und anschließend Trainings durchführen, um sie durchzusetzen. Letzte Woche kam zum Beispiel so eine Anfrage: ein deutsches Unternehmen stellte fest, dass das Büro in Moskau ganz andere Vorstellungen über Compliance hatte, die mit den Standards in Deutschland nicht übereinstimmten. Das kann ein Ausgangspunkt für eine tiefgehende Untersuchung sein.

Nun sind in Russland viele große internationale Anwaltskanzleien tätig, und die Konkurrenz ist riesig.

Dr. Andreas Knaul: Das ist auch gut so. Wir sind aber keine reine Anwaltskanzlei, sondern sind Rechtsanwälte, Steuerberater, Buchhalter und Wirtschaftsprüfer. Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit ist unser großer Vorteil. Viele Unternehmen, die auf den russischen Markt kommen, wünschen sich nicht nur eine rechtliche Beratung, sondern auch eine praktische Unterstützung in der täglichen Buchhaltung. Und dass alles bieten wir aus einer Hand. Jeder Bereich muss natürlich für sich im Wettbewerb bestehen. Dafür haben wir interne Weiterbildungsprogramme, damit unsere Juristen und alle Berater stets auf dem höchsten Niveau sind.

Welche Firmen berät Rödl & Partner?

Dr. Andreas Knaul: Wir arbeiten mit dem deutschen Mittelstand und mit Unternehmen aus Österreich oder aus der Schweiz zusammen. Wir sind aber nicht auf Kunden aus deutschsprachigen Ländern beschränkt, sondern beraten auch Firmen aus Italien, Skandinavien oder den USA. Unsere Arbeitssprachen sind Deutsch, Russisch, Englisch und Italienisch. Ungefähr 70 Prozent der Kunden von Rödl & Partner sind namhafte deutsche Mittelständler und große Unternehmen wie Hapag-Lloyd, Viega, Zentis oder auch E.ON Ruhrgas. Die Kunden stammen aus den verschiedensten Branchen, wie Maschinenbau, Automotive oder auch Konsumgüter – sind also sowohl B2B wie auch B2C und das zunehmend digital und online tätig. Man kann also sagen, dass in unserer Mandantschaft das ganze Spektrum des deutschen internationalen Mittelstandes vertreten ist.

Inwiefern kommen Sie mit dem Thema Sanktionen in Berührung?

Dr. Andreas Knaul: Die Sanktionen spielen insofern eine wichtige Rolle, dass viele Unternehmen sich davon abschrecken lassen, nach Russland zu gehen. Es gibt Firmen, die substantielles Geschäft in den USA haben und befürchten, dass sie so auf die „schwarze Liste“ der amerikanischen Aufsichtsbehörde geraten können. Als Folge ziehen sie sich manchmal aus dem russischen Markt zurück. Unternehmen, die vielleicht auf den russischen Markt gehen würden, sagen sich: wir warten lieber ab, bis diese schlechte politische Stimmung vorbei ist. Also, die Sanktionen liegen nicht auf meinem Schreibtisch, rumoren aber ständig im Hintergrund.

Der Vorsitzende der AHK Russland Herr Matthias Schepp meinte in einem Interview mit russland.NEWS, dass viele Firmen, die nach Russland exportieren, jetzt vor der Frage stehen: Lokalisieren oder den Markt verlieren.

Dr. Andreas Knaul: Man muss es individuell prüfen. Ist der betriebswirtschaftliche Rahmen für die Produktion in Russland gegeben? Das kann für einzelne Unternehmen sinnvoll sein, um die Vorteile mitzunehmen und mit dem Siegel „Made in Russia“ auf den Markt zu kommen und so auch an russischen Ausschreibungen teilnehmen zu können. Für viele Firmen aber, die auf dem Markt mit einer Vertriebsgesellschaft vertreten sind und so nach Russland exportieren, sich auf dem Markt bewährt haben, ist es kein Muss. Der überwiegende Teil des Geschäfts ist ja sanktionsfrei. „Lokalize to make better business“, so würde ich die Botschaft formulieren.

Was würden Sie einem deutschen Hersteller sagen, der noch zögert, den russischen Markt zu betreten?

Dr. Andreas Knaul: Russland ist volkswirtschaftlich gesehen ein absolut stabiler Markt. Gesamtverschuldung, Haushaltsdefizit, Inflationsrate – alle diese Faktoren sind sehr gut. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind auch sehr gut und werden von der russischen Regierung stets verbessert. In dem Doing Business Ranking der World Bank von 2019, in dem 190 Länder bewertet werden, ist Russland vom Platz 35 auf den Platz 31 vorgerückt, und hat somit sogar Frankreich überholt (zum Vergleich: Deutschland ist vom Platz 20 auf Platz 24 abgerutscht). Die Rahmenbedingungen für den Einstieg in Russland sind gut. Der Markt ist mit seinen 145 Millionen Einwohnern groß, und der russische Verbraucher ist konsumfreundlich. Dazu kommt noch die Eurasische Union, in die von Russland aus expandiert werden kann. Ich kann nur sagen, wer nicht in einem sanktionsempfindlichen Bereich tätig ist, sollte jetzt auf den russischen Markt kommen.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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