Seit dem 30. März 2022 gilt in Russland die Regierungsanordnung, die die Einfuhr ausländischer Waren nach Russland ohne Zustimmung ihrer Rechteinhaber erlaubt. Diese Regelung wird Parallelimport oder „grauer“ Import genannt. Die Regierung hat die Antikrisenmaßnahme zur Sicherstellung des Zugangs russischer Verbraucher zu Produkten der Unternehmen getroffen, die sich entschieden haben, den russischen Markt zu verlassen. Einerseits wird sich der Parallelimport auf die Interessen der Rechteinhaber auswirken. Andererseits ermöglicht er die Befriedigung der Nachfrage nach ausländischen Waren in Russland.
Vor der Zulassung des Parallelimports galt in Russland die regionale und nationale Erschöpfung ausschließlicher Rechte. In einfachen Worten bedurfte die Einfuhr einer Ware nach Russland der Zustimmung ihrer Rechteinhaber. Nun gilt das internationale Prinzip der Erschöpfung der Markenrechte, das vorsieht, dass nach dem ersten Verkauf in einem beliebigen Land die Ware frei weiterverkauft werden kann. Wenn eine Ware außerhalb Russlands durch den Rechteinhaber selbst oder mit seiner Zustimmung in Verkehr gebracht wurde, wird seine Zustimmung für die Einfuhr dieser Ware nach Russland nicht mehr benötigt. Vor dem Mai 2022 verbot der russische Föderale Zolldienst die Einfuhr solcher Waren und verweigerte die Zollabwicklung wegen der fehlenden Unterlagen, die die Zustimmung der Rechteinhaber zum Import nachweisen.
Die Anordnung des Industrie- und Handelsministeriums vom 6. Mai 2022 ist ein wichtiges Dokument im Bereich der Regulierung des Parallelimports. Darin wurde die Liste der Waren festgelegt, deren Einfuhr erlaubt ist. Der Schwerpunkt wurde auf die Waren gelegt, die wegen logistischer Störungen oder des Marktaustritts des Herstellers nicht eingeführt werden können. Das Ministerium betonte, dass die Warenliste korrigiert wird: Diese kann sowohl ergänzt als auch gekürzt werden, in Abhängigkeit von den Entscheidungen der ausländischen Unternehmen über ihre Tätigkeit in Russland.
Das wichtigste Problem im Zusammenhang mit dem erlaubten Parallelimport besteht im Anstieg der Menge illegaler Waren. Als illegal werden zwei Kategorien von Waren bezeichnet: Originalwaren, deren Import verboten ist, und gefälschte Waren. Die erste Kategorie wird in Russland nicht mehr als illegal gelten, soweit es um die Waren aus der Liste des Industrie- und Handelsministeriums handelt. Die Einfuhr und Verkauf von Fälschungen werden immer noch als Verletzung der Markenrechte anerkannt.
Es wird jedoch schwieriger sein, gefälschte Waren zu entdecken, weil die Importeure keine Genehmigungen an der Grenze vorlegen müssen. Nach der Einfuhr der gefälschten Waren liegt vor dem Rechteinhaber ein langer und komplizierter Weg zur Suche dieser Waren, Durchführung des speziellen Gutachtens und Verteidigung seiner Rechte vor Gericht. Faktisch wurde die Arbeit zur Bekämpfung von Fälschungen vom Zolldienst auf den Rechteinhaber übertragen.
Russland ist nicht das einzige Land mit erlaubtem Parallelimport. Diese Regeln gelten auch zum Beispiel in den USA, Japan und China. Der wichtigste Unterschied in der Regulierung ist, dass in den meisten Ländern auch bestimmte Einschränkungen gelten. Fast überall gilt, dass sich der Zustand der eingeführten Ware nach der Freigabe auf dem inländischen Markt nicht ändern oder verschlechtern darf, was unter anderem auch die Verpackung betrifft.
Zum Beispiel kann eine Ware in den USA nicht als Original gelten, wenn sie nicht unter der durch den Hersteller festgelegten Qualitätskontrolle hergestellt und verkauft wird. Die Parallelimportwaren dürfen sich auch nicht nach ihrer Qualität von den Waren unterscheiden, die vom Rechteinhaber in anderen Ländern verkauft werden. Leider wurden in Russland noch keine derartigen Einschränkungen eingeführt. Deshalb ist jetzt die Situation möglich, in der sich die Qualität der Waren für ausländische Märkte und für den russischen Markt unterscheiden wird.
Noch ein Problem besteht darin, dass die Hersteller von Waren, die durch Parallelimporteure eingeführt wurden, keine bevollmächtigten Organisationen in Russland haben werden. In diesem Fall werden die Verbraucher praktisch keine Möglichkeit haben, ihre gesetzlichen Rechte auf Reparatur und Wartung der gekauften Produkte wahrzunehmen.
Der Rechteinhaber ist weiterhin verpflichtet, Wartungsleistungen für die durch Parallelimport eingeführten Waren zu erbringen, soweit sie in Russland eine Repräsentanz haben, die solche Leistungen erbringen kann. Falls der Käufer eine Reklamation in Bezug auf die Waren erhebt, deren Qualität sich von der Originalware unterscheidet, kann sich der Rechteinhaber auf die Fälschung berufen. Wie bereits erwähnt, deutet die Legalisierung des Parallelimports nicht, dass die Einfuhr von Waren erlaubt ist, die ohne Zustimmung des Rechteinhabers hergestellt und unter seiner Marke verkauft werden.
Somit bedarf der Parallelimport in Russland noch der Ausarbeitung der genaueren Regulierung und Einschränkungen nach Vorbild anderer Länder. Zurzeit ist dies eher eine Notfallmaßnahme zur Unterstützung der Wirtschaft. Sie ermöglicht den russischen Verbrauchern den Zugang zu ausländischen Waren in der Situation, in der dies anderweitig nicht möglich ist. Dabei bringt der Parallelimport viele Risiken sowohl für den Rechteinhaber als auch für den Käufer. Das sind vor allem Probleme mit Erkennung gefälschter Waren und Garantiewartungen sowie Reputationsrisiken für die Marken.
Elizaveta Pyatunina, Rödl & Partner
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