Neue US-Sanktionen könnten russische Gasindustrie treffen – besonders LNG-Projekte von Novatek

Neue US-Sanktionen könnten russische Gasindustrie treffen – besonders LNG-Projekte von Novatek

Ende Februar veröffentlichte der US-Kongress den Gesetzentwurf „Über den Schutz der US-Sicherheit vor der Aggression des Kremls“ (DASKA). Das Dokument ergänzt das seit 2017 geltende „Gesetz zur Bekämpfung amerikanischer Gegner durch Sanktionen“ (On Countering America’s Enemies through Sanctions – CAATSA). Demnach haben die Vereinigten Staaten am 6. April 2018 Sanktionen gegen eine Reihe russischer Einzelpersonen und juristischer Personen verhängt. Unter ihnen waren Viktor Wekselberg und Oleg Deripaska und einige ihrer Unternehmen. Amerikaner dürfen keine Geschäfte mit Personen machen, die auf der Sanktionslisten stehen. Geschäftsleute aus anderen Gerichtsbarkeiten laufen Gefahr, bei bedeutenden Transaktionen mit ihnen selbst Sanktionen zu unterliegen.

Gas wird im Gesetzentwurf nur im Zusammenhang mit LNG-Projekten, die Russland im Ausland durchführt, direkt erwähnt. Das Dokument sieht Sanktionen für die Teilnahme an neuen Projekten zur Rohölförderung in Russland vor.  In den USA bedeutet der Begriff Rohöl jedoch mehr als Öl. Ende 2014 entschied das US-Büro für Industrie und Sicherheit (BiS), dass der Begriff auch Gaskondensat beinhaltet. Diese Klassifizierung bildete später die Grundlage der Definitionen der US-amerikanischen Energy Information Administration (EIA).

In Russland gibt es bis auf wenige Ausnahmen keine reinen Gasfelder. In den meisten Fällen wird auch Gaskondensat zusammen mit Gas extrahiert. Gazprom ist der größte Gasproduzent in Russland und der Welt. Er sorgt für 68 Prozent der russischen und 12 Prozent der weltweiten Erdgasproduktion. Die Kapazität des Unternehmens ermöglicht die Gewinnung

von rund 600 Milliarden Kubikmetern Gas pro Jahr, obwohl die Produktion in den letzten Jahren zwischen 418 und 497 Milliarden Kubikmetern pro Jahr schwankte. Als wichtigste Ressource von Gazprom dienen die Felder um Nadym-Pur-Taz im Autonomen Bezirk Jamal-Nenzen. Aber sie erschöpfen sich allmählich.

Vor einigen Jahren startete Gazprom die Produktion auf dem Feld Bowanenkowo mit Reserven von 4,9 Billionen Kubikmetern auf der Halbinsel Jamal. Die Produktion im angrenzenden Gaskondensatfeld Charasawey soll 2023 beginnen. Dessen Reserven betragen 2 Billionen Kubikmeter, als Produktionsmenge sind 32 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr geplant. Zwei Drittel der Fläche des Feldes liegen unter festem Boden, der Rest liegt in dem Randmeer Karasee. Ein Sprecher von Gazprom lehnte es ab, mögliche Sanktionen zu kommentieren.

Aber das größte Risiko durch Sanktionen droht Spieler Nummer 2 auf dem russischen Gasmarkt – Novatek. Das Unternehmen setzte auf den beschleunigten Bau von Flüssiggasanlagen. Die erste wurde bereits in Betrieb genommen – die Jamal LNG mit einer Kapazität von 17,4 Millionen Tonnen pro Jahr. Laut Novatek produzierte das Unternehmen 2018 etwa 6,5 Millionen Tonnen LNG. Parallel dazu wurden 922.800 Tonnen Gaskondensat produziert. Bis Anfang der 2030er-Jahre plant Novatek, die LNG-Produktion auf bis zu 70 Millionen Tonnen zu steigern.

Das nächste Projekt, Arktis LNG-2, plant Novatek in den Jahren 2023 bis 2025 zu beginnen. Als Rohstoffquelle für Arktis LNG-2 ist das Feld Utrenneye mit Gasreserven bis zu 2 Billionen Kubikmetern und einem Kondensat von rund 80 Millionen Tonnen vorgesehen.  Und bis 2030 rechnet das Unternehmen mit dem Bau von drei weiteren Produktionslinien, die aus anderen Feldern der Halbinseln von Jamal und Gydan gespeist werden sollen, sagte Leonid Michelson, CEO von Novatek.

„Wir sehen keine möglichen negativen Auswirkungen nach der Einführung der zur Diskussion stehenden Sanktionen“, sagte ein Sprecher von Novatek Mitte Februar gegenüber Wedomosti, nachdem der Gesetzentwurf dem US-Kongress vorgelegt worden war. Inzwischen weigerte sich der Vertreter des Unternehmens, die Fragen von Wedomosti zu beantworten.

Wollen die USA ihre Sanktionen gegen die Gaskondensat-Produktion verhängen oder diese auf Öl beschränken? Auf diese Frage gibt es bisher keine Antwort. Weder die Senatoren Lindsey Graham und Bob Menendez, Mitverfasser des Sanktionsentwurfes, noch das Amt für die Kontrolle ausländischer Vermögenswerte (OFAC) reagierten auf Anfragen von Wedomosti.

In Ermangelung einer klaren Definition können nur das OFAC und das US-Außenministerium U.S. State Klarstellungen vornehmen, kommentierte Jeffrey Orenstein, Rechtsanwalt bei der internationalen Kanzlei K & L Gates. Aber es ist gut möglich, dass die Aufsichtsbehörden gar keine weiteren Erklärungen abgeben werden. „Die Breite und Mehrdeutigkeit der Begriffe kann im Hinblick auf die Erreichung der Ziele der Gesetzesvorlage viel effektiver sein,“ gab er zu Bedenken. „Es ist durchaus möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich, dass die Interpretation der Definition von „Erdöl“ weit genug gefasst sein wird, um auch die Produktion von Gaskondensat abzudecken“, so Orenstein.

Es gibt keinen allgemein akzeptierten Standard für die Definition von Rohöl und Kondensat, sagt Peter Stewart, Chefanalyst bei Interfax Global Energy Services. „Die USA können jede Definition verwenden. Indem man die Formulierung vage lässt, können die Sanktionen effektiver gestaltet werden.“ Selbst nach der Klarstellung durch das OFAC, dass Gaskondensat kein Öl ist, kann die Interpretation erweitert werden, sagt Alan Kartaschkin, Geschäftsführer von Debevoise & Plimpton in Russland. Bei der Vorbereitung von Vorschriften berät sich das OFAC häufig mit Vertretern der amerikanischen Wirtschaft, erinnert sich der Anwalt: „Allgemeinere Formulierungen des Gesetzentwurfs erlauben es dem OFAC, später Vorschriften unter Berücksichtigung der Reaktion der US-Erdölindustrie und der US-Verbündeten zu erlassen – damit sind in erster Linie europäische Länder gemeint.

Die USA nutzen Sanktionen als Mechanismus zur Wahrnehmung ihrer eigenen wirtschaftlichen Interessen im Ausland, so Alexei Panin, Partner von Urus Advisory. LNG-Anlagen werden in rasantem Tempo gebaut. Es wurden bereits Anlagen mit einer Kapazität von mehr als 23 Millionen Tonnen pro Jahr gebaut. In etwas mehr als einem Jahr werden Anlagen mit einer Kapazität von über 55 Millionen Tonnen LNG pro Jahr in Betrieb genommen. Gleichzeitig setzen sich die US-Behörden offensiv aggressiv für Flüssiggaslieferungen nach Europa ein, im offenen Gegensatz zu den Verträgen zwischen Europa und Gazprom.

„Die Mehrdeutigkeit des Wortlauts des Gesetzentwurfs entspricht voll und ganz den Interessen des Landes, das nun seine Kapazitäten zur Verflüssigung von Gas aktiv ausbaut“, so Panin. Der Gesetzgeber in den Vereinigten Staaten kümmert sich jedoch nicht besonders um komplexe Zusammenhänge, wie der Fall Rusal eindeutig gezeigt hat, glaubt der Experte. Hätte sich die US-Regierung die Mühe gegeben, alle Konsequenzen zu berechnen, wäre Rusal kaum unter die Sanktionen gefallen.

Im Sinne des Sanktionsvorschlags sollten nur Erdölprojekte unter die Beschränkungen fallen, aber theoretisch können sie auch für Gasfelder verwendet werden, meinen auch der Direktor von Fitch Corporation, Dmitry Marintschenko, und Maria Belowa, Forschungsdirektorin von Vygon Consulting. LNG ist der einzige Wachstumsbereich für die russische Öl- und Gasindustrie, betont Marintschenko. Russland hat noch nicht gelernt, wie man solche Anlagen alleine baut. Die Verabschiedung des Gesetzes wird dazu führen, dass ausländische Partner von russischen LNG-Projekten, einschließlich Arktis LNG-2, möglicherweise zusätzliche Erklärungen von dem OFAC erhalten müssen, so der Experte. Belowa ist sich jedoch sicher, dass für den Gas-Sektor keine Gefahr besteht. „Ich bin überzeugt, dass die Verfasser dieses Sanktionspakets, die in Fragen der Öl- und Gasterminologie nicht erfahren sind, das Thema unkompliziert angegangen sind und unter Rohölvorkommen das verstehen, was als Grundlage zur Produktion von Rohöl dient.

Projekte, die hauptsächlich Gas und relativ kleine Mengen Kondensat produzieren, würden als „Erdgas“ eingestuft, schlägt Belova vor. „Diese Kategorie wird in keinem bestehenden Sanktionsgesetz, ebenso wenig wie im Gesetzentwurf, erwähnt, da die Abhängigkeit Europas von russischem Gas höher ist als von Öl, was offensichtlich im US-Senat verstanden wird“, so die Expertin. Wenn die USA den Umfang der Arbeiten auf den russischen Öl-, Gas- und Kondensat-Feldern einschränken wollten, dann wäre der Gesetzentwurf unter der Formulierung von Kohlenwasserstoffressourcen erschienen, was sicherlich zu Panik bei den Investoren und Unmut der europäischen Partner führen würde.

Die USA umgehen in der Sanktionsrhetorik sorgfältig das Thema russische LNG-Projekte, ergänzt der stellvertretende Direktor des Nationalen Energiesicherheitsfonds Alexei Grivatsch. Darüber hinaus erhöht russisches LNG den Wettbewerbsdruck auf russisches Pipelinegas in Europa, erinnert der Experte.

[hub/russland.NEWS]

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