„Ich bin russifizierter Österreicher“: Marco Koschier von Rödl & Partner über seine Erfahrungen in RusslandMarco Koschier

„Ich bin russifizierter Österreicher“: Marco Koschier von Rödl & Partner über seine Erfahrungen in Russland

Marco Koschier ist Leiter der Internationalen Wirtschaftsprüfung bei Rödl & Partner in Russland. Mit russland.NEWS sprach er über sein Leben in Moskau.

Herr Koschier, sie arbeiten seit 1993 in verschiedenen Positionen in Russland.

Marco Koschier: Wenn man mich fragt wie lebt es sich als Expat in Moskau, sage ich immer, ich bin russifizierter Österreicher. Ich bin geborener Wiener und mit einigen Unterbrechungen seit 27 Jahren in Russland. Wenn ich sage, ich fliege nach Hause, dann meine ich damit nach Moskau. Wenn man mich fragt, wie ist es in Wien oder ob ich dort ein gutes Restaurant empfehlen kann, dann muss ich passen. Ich kann gute Restaurants in Moskau empfehlen. Ich lebe eigentlich wie ein ganz normaler Russe.

Was hat Sie damals nach Russland verschlagen?

Marco Koschier: Wie einst Wilhelm Busch sagte: „Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt“. Wenn man berücksichtigt, dass meine erste Fremdsprache Französisch ist. Als die Mauer gefallen ist, arbeitete ich für ein österreichisches Unternehmen, das in Russland investieren wollte. Und so bin ich nach Russland gekommen. Ich habe damals geglaubt „Kaviar“ wäre ein russisches Wort. Nach sechs Monaten im Land, begann ich dann mehr schlecht als recht Russisch zu sprechen, aber ich habe die Sprache nie richtig gelernt. Ich „plappere“ sozusagen nach, was meine Gattin sagt, aber fragen Sie mich nicht, warum es grammatikalisch so ist (lacht).

Ich denke aber, dass die Sprache ihr kleinstes Problem war in den wilden 90er-Jahren.

Marco Koschier: Es war schon sehr düster damals in Moskau, das stimmt. Und der Übergang von sozialistischer Planwirtschaft zum Manchester-Kapitalismus war natürlich brutal. Aber wissen Sie, ich war früher Offizier, daher kann man mir nicht so schnell Angst einjagen. Und in all den Jahren in Moskau hatte ich nie das Gefühl gehabt: „Jetzt wird’s brenzlig“. Zur Zeit des Beschusses des sogenannten Weißen Hauses, also des Parlamentsgebäudes in Moskau im Herbst 1993, habe ich zufälligerweise am Kutusovski Prospekt 1 gewohnt und konnte vom Balkon aus die Kämpfe beobachten. Ich habe zu Hause noch immer ein Stück Stacheldraht als Erinnerung von damals.

Sie blieben also in Russland und haben sogar mehrere Arbeitgeber gewechselt. Warum gibt es Expats, die kaum abwarten können, nach zwei Jahren Moskau zu verlassen und solche, die dem Land treu bleiben?

Marco Koschier: Wenn man länger als fünf Jahre in einem Land bleibt, wird man zu einem Experten für dieses Land und kaum vermittelbar für andere Länder. Firmen mit einem starken russischen Bezug gibt es nicht so viele. Also muss man weiter, sozusagen auf dieser russischen Schiene fahren. Ich fahre aber diese Schiene gerne. Moskau ist eine moderne pulsierende Stadt. Wenn ich heute sagen wir mal von München nach Moskau komme, mache ich zivilisatorisch einen Schritt nach vorne. Viele Dinge gehen hier viel schneller als in Deutschland oder in Österreich. Hier ist der Konsument der König, die Geschäfte sind rund um die Uhr geöffnet, die Infrastruktur ist sehr gut entwickelt. Auf der anderen Seite denken russische Geschäftsleute viel kurzfristiger, ihre Entscheidungen sind, daher viel brutaler als in Deutschland oder Österreich.

Welche Folgen hat die Pandemie für Sie und für Ihr Unternehmen?

Marco Koschier: Ich glaube, dass die Sanktionen und die hohe Volatilität des Rubels viel schwerwiegender für die Wirtschaft sind, als die Pandemie. Der Rubel war zu Beginn des Jahres bei 67 jetzt bei 90 zum Euro und diese Abwertung kann zu Wechselkursverlusten führen, die das gesamte Eigenkapital auffressen. Wir machen spezielle Seminare, um unsere Klienten für diese Problematik zu sensibilisieren. Viele Firmen sind mehr davon betroffen als von der Pandemie. Die Realeinkommen sinken. In Moskau fallen mir immer mehr Schilder „Zu vermieten“ auf, vor allem im Retail Bereich und bei kleineren Einheiten, die auch nicht in der besten Lage stehen. Firmen, denen es schon vor der Krise wirtschaftlich nicht so gut ging, haben die Quarantäne nicht überleb. Das Virus war der Trigger, der die bereits bestehenden Probleme nur mehr entscheidend beschleunigt hat. Wie können nur hoffen, dass bald eine Impfung zur Verfügung steht, um wieder zum Zustand wie vor der Pandemie zurückkehren zu können.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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