Die gegenwärtigen Reisebeschränkungen im Osten Europas treffen in der deutschen Bevölkerung auf großes Verständnis: 93 Prozent der Befragten halten die Einreisesperren und Quarantänemaßnahmen, die inzwischen alle östlichen Nachbarstaaten zur Bekämpfung des Corona-Virus erlassen haben, für richtig. Lediglich vier Prozent der Deutschen finden solche Maßnahmen übertrieben. Dies ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa, die im Auftrag des Ost-Ausschuss – Osteuropavereins der Deutschen Wirtschaft (OAOEV) und mit Unterstützung von Wintershall Dea durchgeführt wurde.
„Es gibt eine riesige Bereitschaft in der Bevölkerung, jetzt erhebliche Einschränkungen im gesellschaftlichen Leben in Kauf zu nehmen, um in der Corona-Krise das Schlimmste zu verhindern und rasch die Wende zu schaffen“, sagte der OAOEV-Vorsitzende Oliver Hermes zur Umfrage. „Entscheidend ist, den grenzüberschreitenden Waren- und Pendlerverkehr so zu optimieren, dass die Ansteckungsgefahr minimiert wird, aber gleichzeitig die Versorgung der Krankenhäuser, Geschäfte und Betriebe immer gewährleistet ist. Dazu schlagen wir an der Grenze Überholspuren für LKW mit medizinischer oder leicht verderblicher Ware vor. Zudem sollten die von der EU vorgelegten Ein- und Ausreisebestimmungen für den Personenverkehr jetzt europaweit genauestens beachtet werden. Das schafft Verlässlichkeit.“
Nach Ansicht des OAOEV erfordert die Corona-Krise eine enge Abstimmung auch mit der Nachbarschaft der EU. „Jetzt ist nicht die Zeit für Exporteinschränkungen bei Schutzkleidung, sondern für Zeichen gelebter Solidarität. Ware muss schnell dorthin gelangen, wo sie am dringendsten gebraucht wird“, so Hermes. „Die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen machen an den EU-Grenzen nicht Halt. Gerade viele europäische Nicht-EU-Mitglieder stehen vor existenziellen Herausforderungen und benötigen unsere Unterstützung.“
Wunsch nach engerer Zusammenarbeit mit Russland
Dass die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung für eine Zusammenarbeit mit den Nachbarländern östlich der EU generell groß ist, zeigen die weiteren Ergebnisse der Forsa-Umfrage:
61 Prozent der Befragten können sich einen gemeinsamen Wirtschaftsraum von Lissabon bis Wladiwostok vorstellen, nur 20 Prozent lehnen diesen ab. 55 Prozent der Befragten wünschen sich eine intensivierte Zusammenarbeit konkret mit Russland. Nur 28 Prozent äußern sich hier ablehnend. „Diese Ergebnisse ermutigen alle, die sich trotz bestehender Sanktionen weiter für einen Dialog mit Russland einsetzen und nach gemeinsamen Interessen suchen. Davon gibt es viele, angefangen von der Sicherung der Energieversorgung in Europa über die verstärkte Digitalisierung der Wirtschaft bis hin zur gemeinsamen Bewältigung der Corona-Folgen“, kommentierte Oliver Hermes die Umfrageergebnisse. „Beispielsweise wäre es wichtig, die bestehende Partnerschaft im Energiebereich zu einer deutsch-russischen Energie- und Klimaallianz auszubauen.“
Besonders eindeutig fällt die Einschätzung der Umfrageteilnehmer zum europäisch-russischen Pipelineprojekt Nord Stream 2 aus, das von den USA mit Verweis auf den schädlichen Einfluss Russlands mit Sanktionen belegt wurde: Über drei Viertel (77 Prozent) der Befragten sprechen sich für eine Fertigstellung von Nord Stream 2 auch gegen den Widerstand der USA aus. Nur vier Prozent lehnen den Weiterbau ab. Besonders groß ist die Zustimmung zum Projekt bei Anhängern der SPD (93 Prozent), der CDU/CSU (89 Prozent), der Linken (89 Prozent) und bei Anhängern der Grünen (86 Prozent). „Trotz bestehender politischer Konflikte wird die enge Partnerschaft, die wir mit Russland seit 50 Jahren zur Energiesicherung haben, von einer breiten Akzeptanz in der Bevölkerung getragen“, sagte Mario Mehren, Vorstandsvorsitzender von Wintershall Dea und Leiter des OAOEV-Arbeitskreises Russland zu den Ergebnissen.
Das Sanktionsregime der USA kommt bei den Deutschen generell nicht gut an: Einseitige US-Sanktionen gegen europäische Unternehmen ohne Abstimmung mit der EU werden von 86 Prozent der Befragten abgelehnt, nur fünf Prozent äußern Verständnis dafür.
Zukunftsthemen: Wasserstoff und Klimaschutz
Mehren schlägt vor, die entstandene Pipeline-Infrastruktur in naher Zukunft auch für den Transport von klimaschonendem Wasserstoff zu nutzen. Deutsche und russische Firmen könnten gemeinsam in Russland die Voraussetzungen für die Weiterverarbeitung von Erdgas zu Wasserstoff schaffen und im größten Flächenland der Welt in nachhaltige Energieerzeugung investieren. „Während in Deutschland die Flächen für Wind- und Wasserkraft knapp werden, verfügen Länder wie Russland, die Ukraine oder Kasachstan über ein schier unerschöpfliches Potenzial“, so Mehren.
Eine Zusammenarbeit mit Russland beim Thema Wasserstoff befürworten fast zwei Drittel der Befragten (62 Prozent). Weniger als jeder vierte Bundesbürger spricht sich gegen eine solche Kooperation aus. Noch deutlicher fällt das Ergebnis mit Blick auf den von der EU angestrebten „Green Deal“ zum Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft in Europa aus: 84 Prozent der von Forsa befragten Deutschen sind dafür, dass die EU bei Ihrer Klima-Strategie auch die östlichen Nachbarländer wie Russland mit einbezieht.
Im Auftrag des Ost-Ausschuss – Osteuropavereins befragte die forsa Politik- und Sozialforschung AG 1006 repräsentativ ausgewählte Frauen und Männer über 18 Jahren im Zeitraum vom 16. bis 19. März mithilfe computergestützter Telefoninterviews. Die Umfrageergebnisse können mit einer Fehlertoleranz von +/- 3 Prozent auf die Gesamtbevölkerung übertragen werden.
Weitere Informationen und Grafiken zur Umfrage finden Sie auf der Internet-Seite des OAOEV: www.oaoev.de
Über den OAOEV:
Der „Ost-Ausschuss – Osteuropaverein der Deutschen Wirtschaft e.V.“ (OAOEV) bündelt seit Mai 2018 die Kompetenzen der beiden traditionsreichen Vereine Ost-Ausschuss (gegründet 1952) und Osteuropaverein (gegründet 1990) und fördert die deutsche Wirtschaft in den 29 Ländern Mittel-, Ost- und Südosteuropas, des Südkaukasus und Zentralasiens. Der deutsche Osthandel steht insgesamt für rund ein Fünftel des gesamten deutschen Außenhandels und ist damit bedeutender als der Handel mit den USA und China zusammen. Der OAOEV hat rund 350 Mitgliedsunternehmen und -verbände und wird von sechs Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft – BDI, BGA, Bankenverband, DIHK, GDV und ZDH – getragen.
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