Geht es um Zensur oder nicht? Ein Jurist über Sinn und Zweck des Gesetzes über das souveräne InternetTaras Derkatsch, Ph.D., Senior Associate bei BEITEN BURKHARDT

Geht es um Zensur oder nicht? Ein Jurist über Sinn und Zweck des Gesetzes über das souveräne Internet

Taras Derkatsch, Senior Associate von Beiten Burkhardt Moskau, erklärte im Gespräch mit russland.NEWS, worum es sich beim sogenannten Gesetz über das Souveräne Internet handelt, das am 1. November in Kraft getreten ist und das russische Segment des globalen Netzwerks vor externen Bedrohungen schützen soll.

Herr Derkatsch, das Gesetz über das souveräne Runet (der russische Bereich des Internets) hat viele Menschen in Russland und auch im Westen verunsichert.

Taras Derkatsch: Das Gesetz besagt, dass russische Internetprovider eine bestimmte Internetausrüstung einkaufen müssen bzw. dass sich diese Ausrüstung in Russland befinden soll, damit der Datenverkehr über diese Ausrüstung läuft und der russische Bereich des Internets im Bedrohungsfall weiterhin funktionieren kann. Einfach ausgedrückt, wenn Runet vom World Wide Web abgeschaltet werden sollte, sollten Krankenhäuser weiterhin arbeiten können. Man muss dabei wissen, dass es sich technisch gesehen nicht um ein separates Gesetz handelt, sondern um Änderungen in der bereits bestehenden Gesetzgebung. Viele Experten meinten, zwischen den Zeilen lesen zu können und haben es so interpretiert, dass damit in Russland die Zensur eingeführt wird. Das zum Beispiel Internetseiten abgeschaltet werden, die das veröffentlichen, was dem Staat nicht gefällt. Das gehe aus dem Gesetz allerdings nicht hervor. Außerdem soll man wissen, dass, bevor in Russland ein Gesetz in Kraft tritt, mehrere Normativ- bzw. Rechtsakte verabschiedet werden müssen. Das ist die gängige Praxis in Russland. Die sind aber noch gar nicht vorbereitet. Deswegen gehen viele Fachleute davon aus, dass dieses Gesetz erst im Jahre 2021 in Kraft treten wird. Auch danach bleibt die Frage offen, ob die sogenannten Experten Recht behalten werden, die behaupteten, es gehe um die Begrenzung der Freiheit des Wortes.

Also befürchten Sie nicht, dass das Gesetz einen negativen Einfluss auf das Datenverkehr haben wird?

Taras Derkatsch: In den letzten fünf Jahren sind in Russland mehrere Gesetze betreffend Internet und IT-Recht verabschiedet worden. Aber sie alle betreffen den eigentlichen Nutzer, sei es eine Privatperson oder ein Unternehmen, gar nicht oder nur in einem sehr geringen Umfang. Eine Ausnahme macht das Gesetz über personenbezogene Daten.

Wie real ist aber die Gefahr, dass Runet vom restlichen Internet „abgeschaltet“ wird?

Taras Derkatsch: Ich kann Ihnen einen Fall schildern. Ein österreichisches Unternehmen hat Gazprom Anlagen geliefert. Dann haben sie im Zuge der Sanktionen beschlossen, diese Maschinen von Satelliten aus zu blockieren. Jetzt stehen diese Anlagen herum und können nicht benutzt werden. Dass die Software ausgeschaltet werden kann, ist schon lange bekannt und viele Unternehmen nutzen das zum Beispiel im Falle einer Nichtbezahlung. Also technisch ist das möglich. Inwiefern aber die Ängste der russischen Regierung berechtigt sind, ist nicht ganz klar. Vielmehr sollte die Frage lauten: Entsprechen die vorgeschlagenen Maßnahmen der bestehenden Gefahr oder können sie als drakonisch definiert werden? Eins ist sicher. Es ist verfrüht zu sagen, ob das Gesetz nur auf die Einführung der Zensur im Internet abzielt. Warten wir zunächst auf die Normativakte. In der Regel werden in ihnen die notwendigen Informationen gegeben.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

Taras Derkatsch, Ph.D., Senior Associate

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