„Für Henkel stellte sich nie die Frage, Russland zu verlassen“

„Für Henkel stellte sich nie die Frage, Russland zu verlassen“

Der Präsident von Henkel-Russland Sergej Bykowskich im Gespräch mit russland.NEWS über die Herausforderungen des russischen Marktes

Herr Bykowskich, im nächsten Jahr feiert Henkel ein Jubiläum – 30 Jahre auf dem russischen Markt. Es ist nicht einfach, eine so lange Zeit zusammenzufassen, denn Henkel begann sein Engagement noch in der Sowjetunion. Und dennoch, was sind die wichtigsten Erfolge des Konzerns in Russland in diesen Jahrzehnten?

Sergey Bykowskich: Eine solche Frage kann man lange beantworten, oder man könnte Fakten nennen, die für sich selbst sprechen. Nach dem Umsatz ist Russland für unseren Konzern das Land Nummer Fünf geworden. Auf dem russischen Markt nehmen wir in allen drei Bereichen (Reinigungsmittel, Kosmetik und Klebetechnik) eine führende Position ein, und im Segment der Haarpflege sind wir zum Beispiel der Spieler Nummer Eins. Bei einer Reihe von Nischenprodukten haben wir überhaupt keine Konkurrenz. Alles begann in den 90er Jahren mit einem Joint Venture. Dann entwickelten wir das Geschäft, eröffneten die Produktion. Jetzt hat Henkel in Russland neun Standorte, fast dreitausend Mitarbeiter. Wir können sagen, dass wir praktisch von Grund auf ein großes, hochprofessionelles Team hochgezogen haben. Wir sind Teil eines globalen Konzerns und unsere russischen Kollegen arbeiten auf der ganzen Welt. Und noch eine wichtige Tatsache. Laut Forbes gehören wir zu den 30 größten ausländischen Investoren in Russland.

Sie haben erwähnt, dass Henkel bereits neun Produktionsstandorte in Russland hat. Gibt es Pläne, Sie zu erweitern?

Sergey Bykowskich: Wir setzen die Lokalisierung fort. Zuerst sind das die eigenen Produktionskapazitäten, die ein gewisses Potenzial haben. Darüber hinaus arbeiten wir intensiv an der Auswahl der Rohstoffkomponenten. Leider können wir nicht alle Arten von Rohstoffen in Russland kaufen, zum Beispiel gibt es nicht genug Lieferanten von recyceltem Kunststoff, weil dieses Thema hierzulande bis vor kurzem überhaupt nicht aktuell war.

Und schon sind wir beim Thema Umweltschutz, das in Russland erst vor kurzem auf die politische Agenda trat. Henkel hat sich in Sachen Umweltschutz immer ehrgeizige Ziele gesetzt. Müssen Sie das Bewusstsein der Russen in diesem Bereich brechen?

Sergey Bykowskich: Nun, man sollte nichts brechen, sondern schaffen. Wir als Unternehmen arbeiten langfristig. Nachhaltige Entwicklung ist unsere strategische Priorität. Wir haben Ziele bis 2030: Wie wir die Auswirkungen auf die Umwelt verändern, Prozesse effizienter gestalten und weniger Ressourcen verbrauchen wollen. Diese Ziele sind auch für Russland definiert. In den letzten zehn Jahren haben wir die Auswirkungen auf die Umwelt in unseren russischen Produktionsstätten um 30 Prozent reduziert, indem wir weniger Strom und Wasser verbrauchen und den Produktionsabfall reduzieren. Außerdem haben wir auf die Verwendung von Phosphaten in Waschmitteln völlig verzichtet. Bis 2025 wollen wir nur Verpackungen aus recyceltem Kunststoff verwenden. Was das Verbraucherbewusstsein betrifft, so richten die Menschen in Russland mehr Aufmerksamkeit auf ökologische Fragen und interessieren sich für die Umwelt, in der sie leben, und dafür, wie natürlich die Produkte sind, die sie konsumieren. Vor kurzem fiel mir eine Studie auf, nach der das Thema Kunststoffverarbeitung für die Bewohner aller europäischen Länder gleichermaßen relevant ist. Nur die Russen denken immer noch, dass dies die Angelegenheit der Regierung sei, nicht der Hersteller. Und hier handeln wir proaktiv, den Markt bildend. Es geht darum, wie wir unsere Verantwortung verstehen, weil wir Teil unserer Umwelt sind und deshalb freiwillige Verpflichtungen im Bereich der Ökologie übernehmen. Wir wollen, dass der Verbraucher weiß: Henkel bietet qualitativ hochwertige Lösungen für Körper- oder Sachpflege und macht gleichzeitig die Welt um uns herum im ökologischen Sinne sicherer.

Wie schmerzhaft sind die gegenseitigen Sanktionen für den Konzern?

Sergey Bykowskich: Die Sanktionen sind Teil der gesamtwirtschaftlichen Krise, in der wir uns befinden. Es ist nicht die erste Krise, die wir in Russland durchgemacht haben. Jede Krise ermöglicht allerdings alle Figuren vom Schachbrett  umzuschmeißen und unter neuen Bedingungen einen Zug zu machen. Das ist der Charme der Krise. Wir arbeiten im Verbrauchersegment in Russland, und der Verbraucher leidet sicherlich unter den Bedingungen der Sanktionen. Seit 2014 steigt das Einkommensniveau nicht mehr. Die Menschen sparen beim täglichen Konsum, kaufen rationaler. Unsere Produkte sollen bei der gleichen Qualität erschwinglich bleiben. Und das bedeutet, dass wir nach neuen Lösungen suchen müssen, nach einem neuen Verbraucher. So steigen wir im Kosmetikgeschäft aktiv in das wachsende Segment der Männerkosmetik ein. Wir entwickeln auch neue Vertriebskanäle, zum Beispiel durch die Modifizierung unserer Produkte für Discounter. Wir arbeiten auch an unseren strukturellen Kosten, konsolidieren das Geschäft. Zum Beispiel war Henkel seinerzeit in Russland durch sechs juristische Personen vertreten. Jetzt sind wir eine juristische Person, mit einem Finanzdienst und einer Abteilung für Personalentwicklung. Jetzt fühlen wir uns viel sicherer.

Sie haben bereits das Thema Kosmetik angesprochen. Es gibt ein Klischee, russische Frauen seien besonderes, sie haben einen anderen Geschmack und Vorstellungen von Schönheit. Muss sich der Henkel-Konzern an die russischen Kunden anpassen?

Sergey Bykowskich: Henkel ist ein Experte für Haarpflege, und ich glaube nicht, dass sich die Haare von Russinnen von den Haaren anderer europäischen Frauen unterscheiden. Es gibt globale und an Dynamik gewinnende Trends für Natur- und Biokosmetik. Der zweite Trend ist Minimalismus und Benutzerfreundlichkeit sowohl des Produktes selbst als auch der Verpackung. Aber natürlich gibt es eine Besonderheit des russischen Marktes. Unsere weibliche Klientel will immer gut aussehen – zu Hause und auf der Arbeit. Daher ist der russische Markt für uns als Kosmetikunternehmen ein Geschenk des Himmels. Nicht zufällig spricht man in Russland über den sogenannten „Lippenstift-Effekt“. Auch in Krisenzeiten würde eine Russin eher auf das Dringlichere verzichten als auf die Möglichkeit, gut auszusehen. Aber auch russische Männer bleiben nicht hinter den Frauen zurück. Unsere Linie für Männer-Styling zeigt hervorragende Wachstumsraten.

Sie haben bereits erwähnt, dass Henkel in Russland mehrere Krisen überstand. Woher hat das Unternehmen eine solche Loyalität zum Russischen Markt? War es nicht einfacher zu gehen?

Sergey Bykowskich: Wissen Sie, die deutschen Firmen sind solide, schauen in die Zukunft, arbeiten perspektivisch. Wenn wir Schwierigkeiten überwinden, gehen wir als Gewinner  dem Markt. Darüber hinaus kann der russische Verbraucher, wie es mir scheint, sehr dankbar sein. Wenn Sie in schwierigen Zeiten bei ihm bleiben, wird er es zu schätzen wissen. Das zweite Mal den Markt zu betreten wird aber schwierig sein. Für Henkel stellte sich nie die Frage, Russland zu verlassen. Ja, das Marktwachstum hat sich verlangsamt. Aber es wird sich definitiv erweitern und entwickeln. Für uns sieht der russische Markt mehr als attraktiv aus.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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