Die Russen kochen Eier nach Gefühl – grundlegende kulturelle Unterschiede zwischen Deutschen und Russen Teil 3

Zeit ist Geld

„Wenn unsere Kollegen aus der Zentrale in Deutschland ihre Reise nach Russland planen, ist es für mich jedes Mal eine Herausforderung“, erzählte mir Marina, die als Assistentin in einer deutsch-russischen GmbH in Moskau arbeitet. „Monate im Voraus soll ich ihnen ihre genaue Agenda bestätigen, alle Termine mit präzisen Zeitangaben organisieren. Wie soll das bitte schön gehen? Ich kann doch keinen Russen fragen, hey, hast Du in einem Monat Zeit von 15.30 bis 16.45 für ein Meeting? Sie werden mich auslachen!“ Das Zeitverständnis ist ein wichtiger Bereich, der in Geschäftsbeziehungen zum Stolperstein werden kann. Es geht nicht darum, ob die Russen pünktlich sind oder nicht. Es gibt Pünktlichkeitsfanatiker in Russland und Menschen, die sich notorisch verspäten in Deutschland. Es geht darum, wie man mit der Zeit umgeht, was Zeit bedeutet. In Deutschland ist man gewohnt, sein Leben und seine Zukunft zu planen. Und zwar sehr langfristig. Nur eine Sache wird zur selben Zeit erledigt, damit man sich auf sie vollkommen konzentrieren kann. „Eins nach dem Anderen“, ist ein beliebter Satz in Deutschland. Pünktlichkeit hat einen großen Wert und ist ein Bestandteil des seriösen Business.

Der Zeitdruck ist enorm. Dinge werden in „Zeitfenster“ gepackt und in der Reihenfolge erledigt. Time-Management gilt als Schlüsselkriterium für Karriere. Der deutsche Terminkalender ist dafür bekannt, dass die Termine sogar viertelstündig eingeplant werden. In Russland hingegen werden zeitliche Verpflichtungen als relativ unverbindliche Anhaltspunkte gesehen, und sogar das Wort „Termin“ ist ins Russische kaum übersetzbar.

Viele Dinge werden gleichzeitig getan, und die Prioritäten werden nicht nach einem festen Zeitplan gesetzt, sondern nach der relativen Bedeutung oder Wichtigkeit der einzelnen Verabredungen geändert.

Man plant ausschließlich kurzfristig, wobei sogar dieser Begriff im russischen Kulturraum anders interpretiert wird als im Deutschen. Alles, was länger als einen Tag dauert ist für einen Russen schon langfristig. Deswegen ist es in Russland üblich, wichtige Termine und Vereinbarungen „kurzfristig“ zu bestätigen, sonst könnte es sein, dass sie gar nicht stattfinden. Auf der deutschen Seite wundert man sich dann, warum die Russen einen Tag vor einem Meeting fragen, ob alles dabei bleibe. Grund dafür (unter anderem) ist der tiefverankerte Fatalismus der Russen. Das Leben schreibt sein eigenes Drehbuch, man weiß nie, was einen erwartet. Wie kann man dann Monate im Voraus sein Leben planen? Sogar die russische Sprache neigt zu dieser Ungewissheit. „Lass uns dann gegen zwei telefonieren“, „Ich komme irgendwann nach 18 Uhr vorbei“, „Ich rufe dich morgen Abend an, dann weiß ich, ob wir uns übermorgen treffen können“, so verabredet man sich in Russland. Bei solchen wagen Angaben würde man sich in Deutschland ziemlich unwohl fühlen. Hier weiß man schon im Sommer, wo man Weihnachten verbringt und spätestens im Dezember ist der Sommerurlaub geplant. „Wer ruhig fährt, kommt weiter“. „Wenn du eilst, machst du die Leute lachen“. Der russische Volksmund erzählt viel über die Gelassenheit in Fragen Zeit. Die Realität ist wichtiger, den Zeitplänen steht man in Russland generell skeptisch gegenüber. Denn die Zeit wird immer mit offenem Ende gesehen. Mal ist der Zeitdruck enorm, mal gering. Aber man muss mit einer gewissen Gelassenheit und Vorlaufzeit rechnen.

Also sind Konflikte auf dieser Ebene vorprogrammiert. Kein Wunder also, dass 22% der befragten Deutschen ihre Schwierigkeiten in Russland mit den Unterschieden im Zeitverständnis erklären. In der Praxis kann es so aussehen, dass russische Geschäftspartner einfach nicht an die Lieferungstermine halten und russische Mitarbeiter enorme Schwierigkeiten haben, Projekte so zu betreuen, dass auch alle Projektphasen termingerecht ablaufen. Dem deutschen Chef stehen dann die Haare zu Berge. Russische Mitarbeiter können aber die ganze Aufregung gar nicht verstehen. Denn für sie ist in erster Linie das Ergebnis wichtig. Die Zeit dagegen ist ein Orientierungsrahmen und nicht etwas, was man ständig beachten, messen und überprüfen müsste.

Was aus deutscher Sicht als Unpünktlichkeit oder sogar Unzuverlässigkeit verstanden wird, ist für die Russen Flexibilität. Sie belächeln die Deutschen für ihr Zeitmanagement und beneiden sie gleichzeitig dafür: Was wäre es schön, so perfekt zu planen; nach so einem klaren Plan leben zu können wie in Deutschland! Doch in Russland gehe das eben nicht. Man würde dabei gegen alle geltenden Regeln verstoßen. Wer sein Zeitverständnis in Russland „durchdrücken“ will, ist zum Scheitern verurteilt. Time is money. Die Russen scherzen: Time is not just money. It`s big money. Man muss nur lernen, damit umzugehen. Auf russische Art und Weise.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

„Die Russen kochen Eier nach Gefühl“ – grundlegende kulturelle Unterschiede zwischen Deutschen und Russen Teil 2

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