Bloomberg: USA drohen mit neuen Sanktionen gegen Nord Stream 2

Bloomberg: USA drohen mit neuen Sanktionen gegen Nord Stream 2

Die Gaspipeline Nord Stream 2 steht erneut im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die US-Präsidentschaftsverwaltung hat alle beteiligten Unternehmen ausdrücklich aufgefordert, das Projekt abzubrechen. Amerikanische Medien schreiben über neue Sanktionen, deutsche Medien über ein gemischtes Programm zur Rettung der Gaspipeline.

Bloomberg erfuhr von der Vorbereitung der Vereinigten Staaten auf zusätzliche Sanktionen gegen das Projekt – gegen Versicherer, Betreiber von Hilfsschiffen, Lieferanten von Baumaterialien, Dienstleister und gegen das Schweizer Unternehmen Nord Stream 2 AG als Betreiber.

Vor einer Woche hatte US-Außenminister Anthony Blinken eine Erklärung zu Nord Stream 2 abgegeben, in der er unter Hinweis auf neue Sanktionen die Unternehmen aufforderte, die Zusammenarbeit mit Nord Stream 2 einzustellen. Das „geopolitische Projekt Russlands zur Schwächung Europas“ sei eine „schlechte Idee“. Ende Februar hatten sich bereits 18 Unternehmen geweigert, an der Fertigstellung teilzunehmen.

Das deutsche Handelsblatt hat gestern ein neues Schema deutscher Investitionen in die ukrainische Wirtschaft veröffentlicht, die ihre Transitinteressen durch Nord Stream 2 verletzt sieht. Laut der Zeitung wurden der Ukraine mehrere Investitionsprojekte gleichzeitig angeboten, die gegen eine gewisse Loyalität der USA gegenüber der Fertigstellung der Gaspipeline „ausgetauscht“ werden sollen. „Das wirtschaftliche Schicksal der Ukraine ist eng mit der umstrittenen russischen Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 2 verbunden: Um das Projekt fertigstellen zu können ohne weitere US-Sanktionen dagegen, bietet die Bundesregierung der neuen US-Regierung unter Joe Biden eine stärkere Unterstützung der Ukraine an“, heißt es in dem Artikel.

 Eines der Projekte betrifft die Produktion von Wasserstoff für die künftige „grüne“ Energie der EU in Mariupol. Weitere Projekte sind eine breite deutsch-ukrainische Partnerschaft im IT-Bereich und die mögliche Verlagerung der Produktion von Autokomponenten aus Asien in die Ukraine.

Ob die Biden-Regierung durch ein deutsches Heranrücken an die Ukraine von weiteren Sanktionen, im Ernstfall auch direkt gegen deutsche Unternehmen, Abstand nimmt, wird sich zeigen. „Es ist möglich, dass der Kompromiss auf Kosten Russlands verwirklicht wird: Die Pipeline wird fertiggestellt, aber die deutschen Behörden haben das Recht, sie im Falle eines Verstoßes Russlands gegen internationale Normen abzuschalten“, schreibt The Bell.

Im Debattenmagazin The European appelliert Dr. Joachim Weber an die politische Vernunft bei der Suche nach Lösungen für den Pipeline-Streit. Der Senior Fellow am Institut für Sicherheitspolitik der Universität Kiel ist Experte für geopolitische Strategieberatung, Arktispolitik und maritime Sicherheit. Für ihn „kocht die Debatte hoch wie nie zuvor“.

Zu den Vorwürfen aus Kiew und Warschau, Berlin lasse Osteuropa im Stich, schreibt Weber nach einer Analyse der Fakten aus dem vergangenen Jahrfünft: „Über die Ukrainer und Polen brauchen wir uns überhaupt nicht mehr zu unterhalten, dieser Teil der Debatte ist abgeschlossen. Kiew hat als Lehre aus den Gasstreiten bereits 2011 die Entscheidung getroffen, vom Import russischen Gases unabhängig zu werden. Dies hat man bemerkenswert schnell geschafft, und seit 2015 (!) ist die Ukraine nicht mehr abhängig von russischen Gaslieferungen. Kiew (re-)importiert aus Polen, Ungarn und der Slowakei, schon von daher kann Russland der Ukraine auch keine Preise aufzwingen oder Gas verweigern. Deswegen ist das Argument, man ließe die Osteuropäer energiepolitisch im Stich, blanker Unsinn. Gegen die Installation von Anlagen zum Reverse Flow der Gasströme hat Moskau nichts unternehmen können, und hat es nicht einmal versucht. …Überdies hat die Ukraine riesige Gasspeicher im Westen des Landes und kompensiert Rückgänge an Transitgebühren, in dem sie im Sommer Übermengen an Gas gegen Entgelt zwischenlagert und im Winter wieder distribuiert. Außerdem sichert ihr ein trilateraler Vertrag weiter 40 Milliarden Kubikmeter Gastransit pro Jahr. Auch um Polen braucht man sich keinerlei Sorgen zu machen, Warschau setzt voll auf LNG, also verflüssigtes Gas, das über Swinemünde und andere Punkte von den Weltmärkten über See her angelandet wird. Polen ist inzwischen der große Verteilerknoten für LNG für Mittelosteuropa und arbeitet eng mit Kiew zusammen.“

Damit spricht Weber aber Nord Stream 2 nicht von allen Einwänden frei: „Es zeigt sich, dass eine gewichtige Befürchtung wahr geworden ist: Der Anteil Russlands an den deutschen Energieimporten wächst und wächst. Noch ohne Nord Stream 2, hat er 2020 mit etwa 51 Prozent Anteil an der Erdgaseinfuhr eine magische Schwelle überschritten, wie jüngste Zahlen nahelegen. Dies ist zuviel, wenn man bedenkt, dass wir ansonsten ein Marktmonopol bei 30 Prozent definieren. An dieser Stelle zieht das amerikanische Argument einer zu großen Abhängigkeit durchaus.“

Der Geostratege hält Russland zugute, das die erste Doppelröhre Nord Stream seit 2012 fristgerecht Gas liefert und die nominelle Leistung von 55 Milliarden Kubikmetern pro Jahr hinaus mit 59,2 Milliarden Kubikmetern im Jahr 2020 übertraf. „Russland hat niemals, auch nach der Krimkrise von 2014 nicht, irgendeine seiner diesbezüglichen Verpflichtungen verletzt.“

Auch über die Zeit vor der Krimkrise nimmt Weber Moskau in Schutz: „Viele machen nämlich den Fehler, Russland mit dem Perspektivwechsel von 2014 nun rückwirkend für alle Dinge auch davor verantwortlich zu machen. Mit den Fakten deckt sich das nicht. Betrachten wir die europäische Energiepolitik von damals, dann können wir nicht vorbeisehen am Geschehen der russisch-ukrainischen Gaskonflikte im ersten Jahrzehnt der 2000er Jahre. Der Streit zwischen Moskau und Kiew begann mit Moskaus Weigerung, seinem Nachbarland auch noch 2005 (!) wie in Sowjetzeiten Gas zu stark subventionierten Preisen unter Weltmarktniveau zu liefern. Es können hier auf knappen Raum nicht die Details dieses in drei Konfliktrunden von 2005/2006, 2007/2008 und 2008/2009 ausgetragenen Macht- und Preiskampfs vorgeführt werden. Aber generell ist festzustellen, dass Russland damals mindestens so gute Argumente für seine Sicht der Dinge vorzutragen hatte wie Kiew. Die nach Ansicht der meisten Beobachter im Januar 2009 von Kiew, nicht von Moskau auf die Spitze getriebene Gasblockade, führte im tiefsten Winter, im Januar 2009, zu merklichen Engpässen in Südosteuropa, und auch in Deutschland zu einer Situation, in welcher zum ersten Mal seit ihrer Einrichtung die Aktivierung der staatlichen Notfallreserve unmittelbar bevorstand. Zu dieser Zeit war Westeuropa als Ganzes zu fast 75 Prozent in seinen Erdgasimporten vom ukrainischen Transit abhängig.“

Das letzte Mal hatten die Vereinigten Staaten Sanktionen gegen das Projekt am 19. Januar 2021verhängt. Das Rohrverlegeschiff Fortuna und sein Besitzer, die Firma KBT-RUS, fielen unter sie. Das Schiff arbeitet dennoch in den Hoheitsgewässern Dänemarks weiter, Ende März wird sich die Akademik Tschersky dem Bau anschließen. Danach soll die Verlegung in den Gewässern der Bundesrepublik Deutschland fortgesetzt werden. Gazprom muss noch etwa 150 Kilometer der Leitung fertigstellen.

[hrsg/russland.NEWS]

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