«An das Potenzial glauben» – Präsident und CEO der BMW Group Russia Stefan Teuchert über Besonderheiten des russischen AutomobilmarktesStefan Teuchert

«An das Potenzial glauben» – Präsident und CEO der BMW Group Russia Stefan Teuchert über Besonderheiten des russischen Automobilmarktes

Herr Teuchert, was zeichnet den russischen Automobilmarkt aus?

Stefan Teuchert: Er ist höchst volatil. Ich kenne wenige Märkte, die so oft so starke Schwankungen haben. Russland hat allein in den letzten 20 Jahren drei schwere Wirtschaftskrisen hinter sich. Während der internationalen Finanzkrise von 2008 bis 2009 zum Beispiel ist der Automobilmarkt in Russland um 50 Prozent eingebrochen, erholte sich allerdings sehr schnell wieder. BMW konnte damals überproportional daran partizipieren. Einige hatten sogar gehofft, zwischen 3,5 bis 4 Millionen Neuzulassungen pro Jahr zu erreichen. Damit wäre Russland der größte Automobilmarkt in Europa gewesen. Nach 2014 konnte der Markt allerdings nicht zu seiner Stärke zurückfinden. Bei der heutigen Krise ist eine schnelle Erholung nicht in Sicht. Trotzdem glauben wir an das Potenzial: Das Land ist groß, man braucht individuelle Mobilität. Hinzukommt, dass die Russen hochgradig Automobil affin sind. Es ist also nur eine Frage der Zeit … da muss man krisenfest sein.

Diese Standhaftigkeit der deutschen Unternehmen ist fast sprichwörtlich geworden. Sie schrecken nicht mal die Einbrüche von fast 40 Prozent ab …

Stefan Teuchert: Da haben Sie Recht. Ich glaube, deutsche Unternehmer sind sehr strategisch unterwegs und denken langfristig. BMW ist seit 104 Jahren im Geschäft, wir haben viele Krisen gesehen und jede davon genutzt, um besser und effizienter zu werden. Also geben wir uns einer Krise nicht ohnmächtig hin, sondern sind durch unsere Finanzplanung und strategische Ausrichtung bestens darauf vorbereitet. Das ist unsere Stärke. Wir sind inzwischen in 160 Ländern vertreten. Jeden Tag passiert irgendetwas in einem von diesen Ländern, wir können doch deswegen nicht aufgeben. Und wenn wir an das Potenzial glauben, dann halten wir auch durch.

Sind russische Kunden irgendwie anders, als sage ich mal die Deutschen? Was erwartet man in Russland von einem deutschen Fahrzeug der Premiumklasse?

Stefan Teuchert: Der deutsche Kunde ist eher rational. Das Automobil ist für ihn ein Fortbewegungsmittel und ein Nutzfahrzeug. Wenn es dabei Spaß macht und schön ist, umso besser. Der russische Kunde dagegen ist sehr emotional. Für ihn ist das Auto immer noch der Ausdruck von Erfolg und Lebensgefühl. Natürlich versucht jeder Kunde einen guten Preis zu bekommen, aber am Ende des Tages zählen Image, Status, Komfort und Luxus mehr, und man ist bereit, mehr Geld auszugeben. Außerdem darf man in Russland zeigen, was man hat, also darf das Auto auch etwas größer sein. Für das Premiumsegment und speziell für BMW ist der russische Markt sehr attraktiv. Viele Kunden lieben unsere Marke und träumen davon.

Russische Kunden sind nicht nur auto- sondern generell technikaffin. Das Thema Digitalisierung ist sehr aktuell. Man kann inzwischen ein Auto online konfigurieren …

Stefan Teuchert: … und auch komplett über Apple Pay bezahlen. Man kann ebenso ein Fahrzeug kontaktlos nach Hause bestellen. Hier ist Russland weltweit führend. Wir haben vor zwei Jahren mit limitierten Editionen angefangen, die man nur online kaufen konnte. Allerdings hat man den Finanzierungsvertrag noch beim Händler abschließen müssen. Seit März dieses Jahres können wir das komplett online abwickeln. In den letzten drei Monaten haben wir über 500 Finanzierungsverträge mit russischen Kunden online abgeschlossen.

Wie hat das Jahr 2020 für BMW Russia angefangen? Soweit ich weiß, haben sie noch im März ein sehr gutes Ergebnis erzielt.

Stefan Teuchert: In den letzten drei Jahren ist uns gelungen, zweistellig zu wachsen. Jedes Jahr hatten wir zwischen 10 und 20 Prozent Zuwachs. In Russland haben wir sogar zwei Jahre hintereinander das höchste Wachstum von BMW weltweit erreicht. Im ersten Quartal 2020 haben wir wieder 12 Prozent zugelegt. Und dann kam Corona …

Und der gesamte Automobilmarkt in Russland ist im April um 70 Prozent eingebrochen …

Stefan Teuchert: Im zweiten Quartal mussten wir erhebliche Einbußen hinnehmen. Aber schon im Juni haben wir fast unser ursprüngliches Budget erreicht. Wenn also keine zweite Welle kommt, glaube ich, dass wir die Verluste aus dem zweiten Quartal kompensieren können und am Ende des Jahres auf das Vorjahresniveau kommen. Schon seit zwei Jahren performen wir besser als der Markt insgesamt, und auch besser als unsere Wettberber. Für das Jahr 2021 gehen die Wirtschaftsprognosen von einem leichten Aufschwung aus. Man darf auch nicht vergessen, dass die Kunden im Premiumbereich weniger für externe wirtschaftliche Faktoren anfällig sind. Sollte sich also der Ölpreis bzw. der Rubel stabilisieren, sehe ich durchaus eine Chance für ein moderates Wachstum im Premiumsegment.

[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]

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