Die Geschichte hat mir eine russische Journalistin und Soziologin erzählt. Vor einigen Jahren hatte sie drei Kollegen aus Deutschland zu Besuch. Zum Frühstück gab es Eier, die von den Dreien weich bestellt worden waren. Während sie ihre Bekannten in das typisch russische Gespräch über Gott und die Welt verwickelte, deckte sie den Tisch, rauchte und kümmerte sich um die Eier. Als die Eier „geköpft“ waren, stellte sich heraus, dass sie hart wie ein Stein waren. Die deutschen Journalisten guckten ihre Gastgeberin traurig an: offensichtlich haben sie die Situation als peinlich empfunden. Schließlich brach einer von ihnen das Schweigen:
„Es ist nicht schlimm, Lara“, sagte er, als wolle er sie trösten. „Schließlich hast Du nicht mal einen Eierpiekser“.
„Eben“, stimmte ihm der andere zu. “Und eine Eieruhr fehlt in deinem Haushalt auch.“
„Ich schenke Dir bei Gelegenheit einen Eierkocher“, beendete der Dritte die Diskussion großzügig.
Eierpiekser, Eieruhr, Eierkocher – an diesem Tag wurde meine Bekannte in die Kunst des Eierkochens eingeweiht. Zwanzig Jahre hatte sie Eier gekocht, gebraten, geschlagen, ohne zu wissen, mit was für einem komplexen Stoff sie es zu tun hatte. Hier prallten zwei Kulturdimensionen aufeinander: deutsche Genauigkeit und Ordnungsliebe trafen auf das russische „Auf gut Glück“ und „Es wird schon“. Betrachtet man diese kleine Szene aus der Sicht der interkulturellen Kommunikation, kommen viele interessante Dinge ans Tageslicht. Sogar sprachlich ist die Liebe zur genauen Struktur in der deutschen Kultur verankert. „Frühstücksei“ – alles ist genau definiert, damit kein Zweifel bleibt, für welche Zwecke das Ei verwendet werden muss. Ein russisches Sprichwort besagt daher, dass der russische Mensch das Vielleicht, das Ungefähr und das Irgendwie liebt. Und was kontert der deutsche Volksmund? „Ordnung muss sein“ und „Ordnung ist das halbe Leben“.
Von welcher Bedeutung das (Miss)Achten solcher „Kleinigkeiten“ im internationalen Geschäftsleben ist, liegt auf der Hand. Ein deutscher Unternehmer, der davon ausgeht, dass seine kulturellen Standards, Werte und Gewohnheiten auch in Russland den gängigen Normen entsprechen, ist nicht unbedingt zum Scheitern verurteilt. Doch Missverständnisse und Enttäuschungen werden ihm nicht erspart bleiben. „Der Aufbau des Wirtschaftslebens vollzieht sich auf der Basis der Kulturbedingungen“, sagte der deutsche Volkswirt Werner Sombart. Und wenn man diese Kulturbedingungen nicht berücksichtigt, hilft auch kein fundiertes Wissen über wirtschaftliche Entwicklungen, Steuern, Risiken, Recht, Zoll etc. Denn jede Kultur hat Problemlösungen hervorgebracht, die sich bewährt haben und die man respektiert und akzeptiert sehen will.
Interkulturelle Missverständnisse sind nichts Neues. Spätestens bei der Entdeckung Amerikas prallten verschiedene Kulturen aufeinander. Oft mit dramatischen Folgen. Als Columbus die Küste des heutigen Costa Rica erreichte, schickten ihm die Indianer zwei nackte Jungfrauen auf die Schiffe. Ziel des Geschenkes war die Verbesserung der Handelsbeziehungen. Aber statt sich zu bedanken, kleidete der Admiral die Mädchen ein und schickte sie zurück ans Land. Damit ahnte er nicht, dass er den Einheimischen eine tödliche Beleidigung zufügte. Aus möglichen Freunden wurden Feinde.
Seitdem hat sich auf diesem Gebiet wenig geändert. Laut einer Untersuchung bei russischen und deutschen Führungskräften sind Hauptgrund für die Entstehung von Konflikten im Rahmen einer Zusammenarbeit die Unterschiede im Arbeitsstil. Außerdem wurden unterschiedliche Spielregeln im zwischenmenschlichen Bereich (31 Prozent der Russen), sowie verschiedene Vorstellungen über Macht und Hierarchie genannt. Interessanter Weise suchten nur 8 Prozent der Deutschen die Ursachen dafür bei sich, aber immerhin 28 Prozent der Russen. Die Stereotypen vom „verunsicherten, passiven“ Russen und vom „selbstsicheren“ Deutschen schienen sich bestätigt zu haben.
[Daria Boll-Palievskaya/russland.NEWS]
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